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Montag, 10. Dezember 2012

Nach seinem Artikel "Tue Gutes und lass es wirken" in der FAZ hat Rainer Hermann nun auch ein ausführliches Interwiev mit der Überschrift "Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch" herausgebracht. Beide Male geht es um den türkischen Gelehrten und Prediger Fethullah Gülen. Lesen können Sie den Artikel hier und das Interwiev hier. Da es ein sehr langes und ausführliches Gespräch ist, wollen wir hier Auszüge, die für Frauen relevant sind, bloggen.

Prediger Fethullah Gülen im F.A.Z.-Gespräch „Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch“

 ·  Fethullah Gülen gilt als der Erneuerer des Islams in der Türkei und als der geistliche Mentor der neuen anatolischen Elite. Für ihn lässt sich einiges im Islam auf Prinzipien der Moderne hin auslegen. 


© Rainer Hermann Der 1938 geborene Fethullah Gülen gilt als einer der einflussreichsten islamischen Denker der Gegenwart.
Im Ausland kennen ihn erst wenige, und doch ist sein Einfluss auf die Entwicklung der Türkei kaum zu überschätzen. Lange bevor Anatolien zu dem wirtschaftlichen Entwicklungsschub der vergangenen Jahre angesetzt hat und auch lange bevor die AKP Erdogans im Jahr 2002 erstmals an die Regierung gewählt worden war, hatte Gülen bereits einen Islam gepredigt und verbreitet, der den Muslimen den Anschluss an die Moderne ermöglichen sollte. Er wurde damit zum Erwecker Anatoliens und zur Stimme jener „schwarzen Türken“, also der Mehrheit der anatolischen Muslime, auf die die urbane Elite des Landes, die „weißen Türken“, lange meist nur mitleidig herabgeblickt hatte. Unter dem Eindruck der Lehren Gülens, der aus der Toleranz des gemäßigten Sufi-Islams schöpft, ist in Anatolien in den vergangenen Jahrzehnten aber eine dynamische Mittelschicht entstanden.
Die Anatolier waren ungebildet und provinziell, arm und fromm. Motiviert durch Gülens Lehren strebten sie nun nach Bildung und wurden wohlhabend, sie blieben aber weiter fromm. Gülen brachte ihnen die Bedeutung von Bildung und unternehmerischem Erfolg nahe, die Vereinbarkeit von Islam, Moderne und Demokratie, aber auch die Unvereinbarkeit von Islam und Gewalt. Er rief seine Anhänger auf, mit eigener Hände Arbeit Wohlstand zu schaffen und nicht zu vergessen, diesen auch unter Bedürftigen verteilen. In seinen Predigten verbindet er in langen Sätzen Suren aus dem Koran, Aussprüche des Propheten und die Erfahrungen der Mystiker mit den Erfordernissen der modernen Welt, er führt die Welt die Glaubens und der Lebenswirklichkeit zusammen.
Gülen wurde 1938 bei Erzurum geboren, und er knüpfte an den Lehren des bekannten Mystikers Nursi Said (1876 bis 1960) an. Der erste türkische Politiker, der regelmäßig seinen Predigten zuhörte, war der Reformer Turgut Özal (1927 bis 1993). Gülen unterhielt auch Kontakte zum Sozialisten Bülent Ecevit (1925 bis 2006). Viele oppositionelle Bewegungen haben den Kemalismus, die Ideologie der „weißen Türken“, herausgefordert. Da Gülen die kemalistische Elite wirkungsvoll in Frage stellte, erklärte sie ihn zum Staatsfeind. Daher ging Gülen 1999 ins Exil und lebt seither in den Vereinigten Staaten, wo er medizinisch behandelt wurde und als „religiöser Gelehrter“ eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat.



 ......Wie steht es dann mit dem friedlichen Zusammenleben?
Im Islam gibt es keinen Wert, der ein Hindernis für das friedliche Zusammenleben mit Christen, Juden oder Angehörigen anderer Religionen und Überzeugungen wäre. Im Gegenteil. Es gibt Koranverse, Hadithe, also Aussagen des Propheten, und historische Erfahrungen, die gerade ein gemeinsames Leben ermöglichen sollen. Der ehrenwerte Ali sagte: „Die Muslime sind unsere Geschwister in der Religion, und die Nichtmuslime sind uns in der Schöpfung gleich.“ Dieser Satz des vierten Kalifen in einem Brief an den ägyptischen Gouverneur Malik bringt diese Wahrheit sehr deutlich zum Ausdruck. Wir haben den anderen in dessen Existenz zu akzeptieren. Möglich sein wird das Zusammenleben von Muslimen und Christen nur durch die Einrichtung einer Kultur des Zusammenlebens. Dazu müssen die Grundrechte und Freiheiten für alle verteidigt und geschützt werden. Beide Seiten haben sich gegenseitig zu akzeptieren, in der Situation des anderen, so dass den Provokationen so weit wie möglich kein Publikum geboten wird. Ereignen sich dann solche Dinge, lässt sich zivilisiert auf sie antworten.........

......Wie kommt es, dass der Islam dann so verschieden ausgelegt wird?
Vieles ist offen für eine Auslegung und eine Exegese in der Zeit. Das kann mit den Bedingungen einer Zeit erklärt werden. Wir haben zum einen Grundprinzipien, zum anderen aber Interpretationen in einer Zeit, die auf diesen Grundlagen basieren. [Der mystische türkische Prediger] Bediüzzaman Nursi sagt, die Zeit sei der größte Exeget. Die Anforderungen ändern sich mit der Zeit. Wir nennen diese Auslegung Idschtihad. Wenn heute kein Idschtihad praktiziert wird, dann weil es an Menschen fehlt mit der entsprechenden Kompetenz und Qualifikation. Das Tor zum Idschtihad steht vollkommen offen. Berücksichtigt man die Zeit, die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen sowie die internationalen Verhältnisse, gibt es viele Gründe, weshalb ein Idschtihad durchgeführt werden muss. Wegen des Idschtihads gab es in der Vergangenheit Abspaltungen. Jemand sagte einmal: „Die Wege zu Gott sind so viele wie der Atem der Geschöpfe.“.............

......Sie rufen also dazu auf, den Anderen zu respektieren, wie er ist?
Uns wurde aufgetragen, jeden Menschen entsprechend seiner Wirklichkeit zu akzeptieren und diesem gegenüber respektvoll zu sein. Erwartet man Respekt, darf man nicht versäumen, auch dem Nächsten Respekt zu erweisen. So muss man sich auch gegenüber Atheisten verhalten. Schließlich ist er ein Mensch, und man muss Menschen umarmen. [Der türkische Mystiker] Mewlana, der vor mehr als sieben Jahrhunderten in Anatolien ein erhabener Meister für Toleranz und Dialog war, hatte gesagt: „Komm, komm, wer Du auch bist, komm, zu welcher Religion du auch gehörst, komm!“ Und er öffnete sein Herz gegenüber jedem. Wenn Ihr euer Herz öffnet und ich euch umarme, dann werden Eure Hände nicht herunterhängen; auch Ihr werdet dann ein Bedürfnis empfinden, mich zu umarmen. Wir brauchen heute diese Haltung. In einer Zeit, in der tödliche Waffen großes Elend bringen, ist es eine wichtige Pflicht, die Wege des Friedens und des innigen Zusammenseins zu erforschen. Hat man Respekt für seinen eigenen Weg, erfordert das nicht, gegenüber der anderen Seite respektlos zu sein. Nicht respektieren darf man aber einige Verhaltensweisen. Das kann Muslime betreffen, Christen, Atheisten, Deisten. Ist der Mensch grausam oder bestialisch, vergießt er Blut, begeht er Unrecht, verzehrt er das Recht der Menschen: Dann zerstört er die hohe Moral. Will der Menschen gegen etwas vorgehen, sollte er es gegen solche negativen Eigenschaften tun. Er sollte versuchen, soweit er dazu imstande ist, diese zu beseitigen, und zwar mit Erziehung, Vermittlung von Bildung und gutem Benehmen, indem man die Wege des Friedens erforscht und Dialog führt.

Sind fundamentale Errungenschaften wie Demokratie, Pluralismus und die Menschenrechte lediglich westliche Erfindungen - oder sind sie universal und können damit auch in islamischen Gesellschaften praktiziert werden? Bei Demokratie, Pluralismus und den Menschenrechte hat es wichtige Fortschritte gegeben. Das sind aber keine Werte, die sich allein in der westlichen Welt und nur in moderner Zeit gezeigt haben. Wir sehen, dass es bei der Entwicklung der Demokratie viele unterschiedliche Anwendungen gegeben hat, dass Verbesserungen durchgeführt wurden, dass überprüft wurde. Der Begriff Demokratie wird mit Wörtern wie sozial, liberal, christlich, direkt, repräsentativ oder parlamentarisch verbunden, obwohl sich diese Eigenschaften teilweise gegenseitig ausschließen. Die Prinzipien, die die Fundamente der Demokratie sind, und die Regierungsform stimmen mit den islamischen Werten überein. Werte und Prinzipien, die der Islam wie auch die Demokratie akzeptieren, sind Beratung, Gerechtigkeit, Religionsfreiheit, der Schutz der Rechte von Individuen und Minderheiten, das Recht eines Volkes zur Wahl seiner Regierung, die Verantwortung der Regierenden für ihre Tätigkeiten und die Unzulässigkeit der Herrschaft einer Minderheit oder Mehrheit über den jeweils anderen. Die allgemeinen Prinzipien des Islam zur Regierungsform sind also kein Hindernis für die Umsetzung der Demokratie. Sie bieten sogar eine geeignete Grundlage dazu......


.....Welche Rolle spielt in Ihrem Denken die Frau?
Frauen können nahezu alle Rollen übernehmen, sie können Richtern und Staatsoberhaupt sein. Zu beachten sind zwar die Natur der Frau und religiöse Empfindlichkeiten. Die Rolle der Frau ist aber nicht auf die Beschäftigung zu Hause und auf das Großziehen der Kinder beschränkt. „Die Frau im Islam“ gehört zu den Themen, die im Westen negativ und am häufigsten behandelt werden. Der Grund ist, dass die Muslime Dinge praktizieren, die den Grundwerten des Islams widersprechen. Einiges, was negativ erscheint, muss man im Zusammenhang mit den Bedingungen der jeweiligen Epochen und Staaten bewerten. Zudem herrschen in einigen Regionen und Gesellschaften weiter Gewohnheiten und Traditionen, die es vor dem Islam gegeben hat und die weitergeführt werden. Das dem Islam anzurechnen, ist nicht richtig. Für die muslimische Religion ist es aber niemals zulässig, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und ihren Handlungsspielraum einzuschränken. Die Muslime missachten dies leider. Ein grobes Verständnis und ein plumpes Denken hat damit das System zerstört, welches auf der gegenseitigen Hilfe von Mann und Frau sowie auf das gemeinsame Teilen aufgebaut war. Mit dieser Zerstörung wurden auch der Familienfrieden und die gesellschaftliche Ordnung zerstört.

Sind Mann und Frau gleich?
Auch die die Frau ist eine freie und eigenständige Persönlichkeit. Ihre Weiblichkeit hebt keine der Qualifikationen auf, die sie besitzt, verengt sie auch nicht. Wenn eine ihrer Rechte berührt wird, kann sie, wie die Männer, ihre Rechte einfordern. Besitzt sie, was jemand anderes hält, kann sie es zurückholen. Muslime unterschiedlicher Völker hatten ihren historischen Erfahrungsschatz mit dem Kleid des Islam gekleidet, sie präsentierten ihre Gewohnheiten und Traditionen, als gehörten sie zu den Grundlagen der Religion. In dieser Richtung gab es auch einige theologische Gutachten, Idschtihads. So wurden die Rechte der Frau veräußert, von Tag zu Tag wurde sie in einen immer engeren Bereich gedrängt und sie wurde, ohne zu erfassen, wohin das Ganze hinausläuft, in einigen Gebieten wurde sie sogar ganz aus dem Leben ausgeschlossen. Einen Unterschied der Frau zum Mann gibt es bei keinem der Themen, die die Grundprinzipien des Islams betreffen – etwa bei der Glaubens- und Meinungsfreiheit, den Besitz- und Verbraucherrechte, der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Recht auf eine gerechte Behandlung vor dem Gesetz, dem Recht auf Heirat und der Gründing einer Familie, dem Recht auf Intimität und die Unantastbarkeit der Privatsphäre. Wie bei Männern stehen auch ihr Besitz, Leben und ihre Sexualität unter Schutz. Wer das verletzt, dem drohen schwere Strafen.

Welche Stellung sollte die Frau sie in Ihrem Netzwerk haben?
Die in der Bewegung aktiven Frauen üben, indem sie der Menschheit zur Hilfe zu stehen, wichtige Aufgaben aus. Sie schöpfen, wie die Männer, die Möglichkeiten aus, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie sind mit ihrer Haltung und ihrem Verhalten ein Vorbild. Entsprechend ihrer Ausbildung und Erfahrungen setzen sie, auch in leitenden Positionen, die ihnen obliegenden Pflichten um, und sie reisen, ist es erforderlich, in alle vier Himmelsrichtungen. Auch wenn wir im Vergleich zu früher enorme Wege zurückgelegt haben, ist die Partizipation der Frauen in der Gesellschaft und in der Bewegung nicht dort, wo wir sein müsste. Sie hat das gewünschte Niveau nicht erreicht...........


.....In Deutschland hört man häufig, dass Türken nicht bereit oder in der Lage seien, sich zu integrieren und Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Was raten Sie bei der Integration? 
Die Integration hätte besser laufen können. Verantwortlich sind die Migranten, aber auch die europäischen Staaten. Die Migranten dachten lange nicht daran, sich in die gastgebende Gesellschaft zu integrieren, weil sie von der Rückkehr in ihre Heimat ausgegangen sind, zu der es nicht kam. Den Preis für diese Passivität haben sie und noch mehr ihre Kinder bezahlt. Aus demselben Grund haben auch die Gastgeberländer zunächst keine Integrationsmaßnahmen ergriffen. Sie waren nicht in der Lage, notwendige und integrationsfördernde Angebote und Möglichkeiten in den Bereichen Bildung, Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft zu schaffen. Ferner haben sich die Herkunftsländer der Migranten nicht rechtzeitig und ausreichend um sie gekümmert. Heute tut sich auf beiden Seiten viel. Die europäischen Staaten haben in den letzten Jahren nachhaltige Integrationsmaßnahmen getroffen, um bestehende Hürden zu beseitigen. Die Migranten haben erkannt, dass sie in ihrem Gastland eine neue Heimat gefunden haben und investieren nun in die Bildung ihrer Kinder und Enkelkinder, bauen sich eine wirtschaftliche Existenz auf und ergreifen die Initiative. In diesem Rahmen leistet die Hizmet-Bewegung durch Bildungseinrichtungen und Sprachkurse einen akademischen, kulturellen und sozialen Beitrag zur Integration. Diese Einrichtungen setzen sich dafür ein, dass die neuen Generationen als teilhabende Bürger einen konstruktiven Beitrag für die Gesellschaft leisten, ohne ihre Herkunftskultur zu leugnen. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Perspektivewechsel und die damit verbundenen vielseitigen Integrationsbemühungen positive Früchte tragen....

Man sollte sich die Zeit nehmen, und den ganzen Artikel lesen. Es lohnt sich!

Quelle: Faz - Gespräche: "Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch"


Sonntag, 11. November 2012

Fethullah Gülen: Tue Gutes, und lasse es wirken

Lange wurde der türkische Gelehrte und Prediger Fethullah Gülen und die nach ihm benannte "Gülen-Bewegung" in Deutschland -zumindest medial- kaum beachtet. Nun erschien zu diesem Thema innerhalb kürzester Zeit schon der zweite Beitrag in einem deutschen Leitmedium. Auffällig ist die diametral entgegengesetzte Meinung der beiden Verfasser von "Der Pate" im Spiegel (eine Kritik zum besagten Spiegelartikel finden sie hier) und dem jetzt erschienenen Beitrag von Rainer Hermann in der FAZ vom 10.11. Ob diese Unterschiede wohl daher rühren, dass der letztgenannte Verfasser im Gegensatz zum Spiegel-Autor auch MIT statt nur ÜBER Gülen geredet hat?
Ein Beitrag von Rainer Hermann, FAZ

Kein Schild weist auf die Abzweigung und den schmalen Feldweg hin. Er führt durch nebligen und herbstlich gefärbten Laubwald zu einem Anwesen mit acht Häusern. An diesen einsamen Ort zog sich vor 13 Jahren Fethullah Gülen zurück, der einflussreichste Prediger des türkischen Islams. Das Militär, damals noch mächtig, hatte ihn aus der Türkei vertrieben. Von Krankheiten geplagt, ließ er sich in amerikanischen Krankenhäusern operieren. Seither hat er das Anwesen kaum verlassen. Die Vereinigten Staaten gaben ihm Visum und Aufenthaltsrecht. Doch auch aus der Ferne blieb der 74 Jahre alte Gülen in der Heimat ein mächtiger Mann. Sein Einfluss war es, der aus den anatolischen Muslimen eine dynamische Mittelschicht schuf. Gülen ist die Stimme dieser „schwarzen Türken“.

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© Rainer Hermann Der verehrte Lehrer: Fethullah Gülen signiert eines seiner Bücher für seine Gäste in seinem Haus in Pennsylvania

Die „weißen Türken“, das sind die Anhänger Kemal Atatürks, die Anhänger des Kemalismus, die Ideologie der urbanen, gebildeten und säkularisierten Oberschicht Istanbuls, später auch Ankaras. Sie herrschte über die Türkei und blickte mit Verachtung auf die Anatolier herab, die ungebildet waren, provinziell, arm und fromm. Motiviert durch Gülens Lehren, strebten nun viele nach Bildung und wurden wohlhabend, blieben aber weiter fromm. Da Gülen die kemalistische Elite wirkungsvoll in Frage stellte, erklärte sie ihn zum Staatsfeind. Seine Rückkehr würde Gräben aufreißen. Deshalb bleibt der konfliktscheue Gülen in Sailorsburg in Pennsylvania.

Seine Botschaft hören Millionen

Ein wenig erinnert das 5,5 Hektar große Anwesen an Gülens Heimat. Er wurde 1938 nahe Erzurum geboren, weit hinten im Osten Anatoliens. Es ist eine wilde Gegend. Manchmal werden Braunbären gesichtet, bald wird sich der Schnee türmen wie in den Wintern von Erzurum. Als türkische Unternehmer, die sich in der Stiftung „Goldene Generation“ zusammengefunden hatten, das Stück Land 1993 für 175.000 Dollar kauften, standen in den Wäldern nur ein paar Blockhütten. Dann ließ die Stiftung acht Steinhäuser bauen und einen Park anlegen. Und sie lud Gülen 1999 ein, sich hier niederzulassen.

Unten, am tiefer gelegenen See, spielen Kinder der Besucher Fußball. Zur Mittagszeit treffen sie sich alle in der Waldlichtung in einem Kösk, einem Gartenpavillon der Art, in dem auch Osmanen im Grünen tafelten. Auf dem Speisezettel steht traditionelle türkische Küche: Linsensuppe, in Olivenöl eingelegtes Gemüse, Köftefrikadellen mit Reis, Tee in kleinen geschwungenen Gläsern. Gülen kann den Weg zum Gartenhaus nicht mehr gehen. Nach zahlreichen Bypass-Operationen bereiten ihm nun die Knie Schwierigkeiten. Er verlässt das Haus nur noch selten, meistens nur, um sich in einem nahe gelegenen Krankenhaus untersuchen und behandeln zu lassen. Gülen führt ein abgeschiedenes Leben. Seine Botschaft aber hören Millionen.

Ein Aufzug fährt in den ersten Stock des Hauses, das innen an ein schlicht-elegantes osmanisches Wohnhaus erinnert und mit einem Minimum an Möbeln auskommt. In diesem Stockwerk wohnt und wirkt der Hocaefendi („der verehrte Lehrer“), wie ihn seine Anhänger ehrfürchtig nennen. Selten gibt er Interviews, ständig umgeben ihn aber sein türkischer Leibarzt und ein paar Vertraute. Am Vormittag hat er, wie jeden Tag, ein Dutzend junger Theologen unterrichtet, die er in privaten Studien, die zwei Jahre dauern, zu seinen Schülern ausbildet. Zweimal in der Woche zeichnen sie eine Predigt auf, stellen sie ins Netz (www.herkul.org), so dass Fernsehstationen sie aufgreifen können.

Das Interview ist für die Zeit nach dem islamischen Mittagsgebet vereinbart. Dann empfängt Gülen Gäste. Von ihnen will er wissen, was sich draußen in der Welt tut, immer wieder hakt er nach. Danach wird er wieder lesen, schreiben und beten. Legendär ist, mit wie wenig Schlaf er auskommt. Jeder Tag ist minutiös durchstrukturiert. Seinen Anhängern predigt er, die verfügbare Zeit gut zu nutzen, und er hält sich selbst daran, ohne in Hektik zu verfallen. Seine Anhänger sagen, er vereine Demut mit Charisma. An der Wand hinter ihm tickt leise eine Uhr. Sie wird nie auf Sommerzeit umgestellt. Die Zeit sei immer gleich, sagt Gülen.

Unvereinbarkeit von Islam und Gewalt

Schwungvolle Kalligraphien schmücken die Wände. Sie passen sehr gut zu der Art und Weise, wie Gülen spricht. Er spricht nicht das nüchterne moderne Türkisch. Ihn hätten auch die Osmanen verstanden. Heute ist es selbst für Türken eine Herausforderung, ihm zu folgen. In langen Sätzen verknüpft er Suren aus dem Koran, Aussprüche des Propheten und die Erfahrungen der Mystiker mit den Erfordernissen der modernen Welt, führt die Welt des Glaubens und der Lebenswirklichkeit zusammen. Er erklärt die Bedeutung von Bildung und unternehmerischem Erfolg, die Vereinbarkeit von Islam, Moderne und Demokratie, auch die Unvereinbarkeit von Islam und Gewalt. Seine Anhänger sollen mit eigener Hände Arbeit Wohlstand schaffen und nicht vergessen, diesen Wohlstand auch unter Bedürftigen zu verteilen.

Der amerikanische Bundesstaat Pennsylvania hat schon immer religiöse Menschen angezogen, die abgeschieden von den pulsierenden Städten ihren Glauben leben wollten. Die frühen Einwanderer, die sich auf den fruchtbaren Böden Pennsylvanias niederließen, waren fromme Leute. Wer von Philadelphia Richtung Westen nach Sailorsburg aufbricht, fährt durch Quakertown und Emmaus. Abzweigungen weisen nach Hamburg und Lebanon, auch nach New Tripoli. Der Weg nach Sailorsburg führt durch Bethlehem und Nazareth.

Mehr als 1000 Privatschulen gegründet

Nur ein paar Autostunden trennen Sailorsburg von Manhattan. Und doch liegen Welten dazwischen. Gülen aber ist überall. Alp Aslandogan blickt vom Fenster seines Büros im sechsten Stockwerk in die steinerne Häuserschlucht der 5th Avenue. 1991 war er aus der Türkei nach New York gekommen, um in Computerwissenschaft zu promovieren; noch heute lehrt er an einer Universität. Daneben arbeitete er viele Stunden ehrenamtlich „für Hizmet“, wie Gülens Anhänger ihre Bewegung nennen, die in Deutschland auch als Gülen-Bewegung bekannt ist. Unternehmer, die Gülen nahestehen, haben in 130 Ländern mehr als tausend Privatschulen gegründet, auch in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Aslandogan hatte bereits 1993 als Student die kleine „Milchstraßenstiftung“ gegründet, um Kindern türkischer Einwanderer am Wochenende zu helfen, in der Schule erfolgreich zu sein. 1999 wurde die Stiftung eine private Schule.

„Wir wollten weder die dominante Kultur kopieren noch uns ihr verweigern. So wollten wir unsere Herkunft bewahren“, sagt Aslandogan. „Wir wollten den Eltern helfen, die amerikanische Kultur zu verstehen, und den Kindern, die Werte ihrer Eltern zu bewahren, aber auch produktive Bürger dieses Landes zu werden.“ In zwei Jahrzehnten ist in New York aus solchen Aktivitäten ein weitverzweigtes Netz vielfältiger gesellschaftlicher Aktivitäten entstanden. Beispiele sind in Manhattan das „Turkish Cultural Center“ und das „Peace Islands Institute“.

Das Kulturzentrum organisiert englische und türkische Sprachkurse, bereitet Kinder auf Prüfungen vor, hilft den Erwachsenen, sich als Wähler zu registrieren und als Selbständige erfolgreich zu sein; in Israel forstete es nach einem großen Waldbrand einen Wald auf, in Haiti baute es nach dem Erdbeben eine neue Schule. Als Dialogplattform wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 das „Pacific Islands Institute“ ins Leben gerufen. Dort sprechen amerikanische Politiker und ausländische Botschafter, Rabbis und buddhistische Mönche, muslimische Familien laden nichtmuslimische Familien ein.

Einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt

Die Kulturzentrum und das Pacific Islands Institute sind nur zwei der 218 zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, die in den Vereinigten Staaten Gülen nahestehen und sich im Mai 2010 im Dachverband „Turkic American Alliance“ zusammengeschlossen haben. Seinen Sitz hat er in Washington, D.C., zwischen dem Capitol Hill und den Studios von CNN. Wie in den New Yorker Büros ist auch hier der Personenkult um Atatürk verschwunden, an den Wänden hängt kein Relief des ewig lächelnden Gründers der Republik. Wie wichtig der Dachverband bereits ist, zeigte sich, als sich bei seinem letzten Galaabend sieben Senatoren und 53 Abgeordnete die Ehre gegeben haben. Zum Dachverband gehört auch „Rethink“, die einzige private türkische Denkfabrik in den Vereinigten Staaten. Der 38 Jahre alte Politologe Fevzi Bilgin, ein ehemaliger Professor an der University of Pittsburgh, versorgt den amerikanischen Politikbetrieb von hier aus mit Studien zu aktuellen Themen der Türkei und des Nahen Ostens.

Noch eine kräftige Spur Gülens im amerikanischen Leben ist Emre Celik, ein Australier türkischer Herkunft und Computeringenieur. Auch er hatte vor zwei Jahrzehnten in Sydney, zunächst in Garagen, türkischen Jugendlichen in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie auf die Sprünge geholfen. Heute leitet er einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt das nach einem türkischen Mystiker benannte „Rumi Forum“. In seinem Vorstand sitzen Juden und säkulare Amerikaner; seine Mittagessen, bei denen meist prominente Politiker oder Diplomaten sprechen, werden von vier Fernsehstationen direkt übertragen.

Celik versteht sich als „Mainstream-Muslim“. Diesen Islam will er in der pluralistischen Gesellschaft Amerikas stärken. In Australien hatte ihn zunächst Saidi Nursi (1876 bis 1960) in den Bann gezogen, der spirituelle Mentor Gülens. Nursi habe in den Islam Fragen des Zweifels eingeführt, sagt Celik, er habe gelehrt, in der westlichen Zivilisation das Gute zu sehen und zu übernehmen, habe dazu aufgefordert, die drei Grundübel Armut, Spaltung und Unwissenheit zu überwinden. „Was Nursi theoretisch formuliert hat, setzt Gülen heute in die Praxis um.“ Als entscheidenden Beitrag Gülens sieht Celik dessen Konzept der Gottgefälligkeit. „Damit veranlasst Gülen die Menschen, in dieser Welt zu handeln, um sich für das Jenseits Verdienste zu erwerben.“

Heimlicher Kardinal in Diensten des Papstes

Von zwei Seiten werde die „Hizmet-Bewegung“ angegriffen, sagt Gülen. Die einen setzten die Aktivitäten von „Hizmet“ mit „Islamismus“ gleich; ihnen wirft er Ignoranz vor. Bei den anderen schüttelt er nur den Kopf. Sie unterstellten ihm „Verrat am Islam, Knechtschaft zu den Vereinigten Staaten und Israel sowie Propaganda für das Christentum und Judentum“. Ein türkischer Staatsanwalt bezeichnete ihn einmal sogar als heimlichen Kardinal in Diensten des Papstes. Der häufigste Vorwurf der Kritiker aber lautet, die Bewegung ziehe heimlich eine islamistische Elite heran, die einen Umsturz vorbereite, etwa in der Türkei; sie sei intransparent und wie ein Geheimbund organisiert.

Solche Kritiker suchen in der Tat Organisationsstrukturen, die es nicht gibt. Der mystische Sufiislam, in dessen Tradition Gülen steht, kennt keine Hierarchie, und als in der Türkei die Generäle noch das Sagen hatten, wäre es zudem gefährlich gewesen, sich erkennbare Strukturen zu geben. „Mein Leben und meine Werke stehen jedem offen“, sagt Gülen. „Nichts ist verborgen.“ Die Aktivitäten von „Hizmet“ fänden in aller Öffentlichkeit statt, mit Menschen aus allen Bereichen des Lebens, aus allen Nationen und Religionen. Sie seien durch die staatlichen Behörden genehmigt, und diese kontrollierten sie auch. „Ich würde gerne wissen, was daran intransparent ist.“

Über Bildung und Schulen laufe der Weg, damit ein Mensch einen konstruktiven Beitrag zu seiner Familie, der Gesellschaft und der Menschheit leiste, sagt er. „Außerdem bin ich überzeugt, dass wir als Geschöpfe Gottes nur durch eine weltliche und spirituelle Bildung zur vollen individuellen Reife gelangen.“ Ein Leben lang hat Gülen diese Ideen gepredigt, rief zum Bau von Schulen auf. Gebaut werden sie von Unternehmern, die sich von Gülen inspiriert fühlen. Er selbst ist an keiner von ihnen Gründungs- oder Vorstandsmitglied.

Dass immer wieder das Stichwort „Unternehmer“ auftaucht, hat nicht nur mit Geld zu tun. Gülen predigt seinen Anhängern, als Unternehmer erfolgreich zu sein. Mit Erfolg. Auf Gülen beruft sich ein großer türkischer Unternehmerverband, der Aufschwung Anatoliens ist mit seinem Namen verknüpft. „Ich habe immer dazu aufgerufen, einen aufrichtigen Unternehmergeist zu haben“, sagt Gülen. Den Unternehmern rate er zu einem bedachten Risiko, er ermutige sie zu investieren und im Ausland zu expandieren. „Stets erinnere ich sie auch an ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung.“ Und er hält einen Ethos des ehrlichen Kaufmanns für sie bereit: sich von Betrug, Spekulationen und Schwarzmarkthandel fernzuhalten, für Vertrauen und Sicherheit zu stehen, die Gaben Gottes nicht verschwenderisch auszukosten, nicht habgierig zu sein, die Rechte der Arbeiter zu respektieren, nicht zu vergessen, dass die Gesellschaft, in der sie lebten, ebenfalls einen Anteil an ihren Gewinnen habe, und im Bewusstsein zu leben, dass letztendlich alles von Gott komme.

Stipendien in Höhe von vier Millionen Dollar

Tevfik Emre Aksoy ist einer dieser Unternehmer, die nach Gülens Konzept der Gottgefälligkeit handeln. Als Bauunternehmer brachte er es im New Yorker Stadtteil Brooklyn zu Wohlstand. Erfolgreiche Selbständige wie er spenden einen erheblichen Teil ihres Einkommens an die Organisationen der „Hizmet-Bewegung“. Sie finanzieren sie damit. Mit vier anderen Selbständigen sitzt er im Vorstand der Amity School von Brooklyn. Die Schulgebühren decken einen Teil des laufenden Haushalts, den Rest und vor allem die laufenden Investitionen übernehmen Spender wie Aksoy.

In das Tagesgeschäft des Schuldirektors Cengiz Karabekmez greift der Wohltäter nicht ein. Dreihundert Schüler besuchen die 1999 gegründete Schule, hundert leben im angeschlossenen Internat. Sie stammen aus 17 Nationen und fünf Glaubensgemeinschafen, viele aber mit Wurzeln in der Türkei. Die Schule wirbt damit, dass seit Jahren alle Absolventen einen Studienplatz bekommen. Die besten gehen nach Harvard, Columbia und Yale. „Die fünfundzwanzig Absolventen des letzten Jahrgangs haben Stipendien in Höhe von vier Millionen Dollar eingesammelt“, sagt Karabekmez stolz. 

Schwerpunkt Naturwissenschaften

Schwerpunkt ist, wie in allen "Gülen-Schulen“, die Vermittlung der Naturwissenschaften. „Einen Glauben drängen wir nicht auf“, sagt Karabekmez. „Wir sind ja keine religiöse Schule.“ Das Schulfach „Charaktererziehung“ vermittle universale Werte wie Respekt, Nächstenliebe und Arbeitsethik. Die meisten der 36 Lehrer sind amerikanische Staatsbürger. Sprachprobleme? Gewiss, manche Eltern sprächen nur wenig Englisch, sagt eine Lehrerin. „Die Gemeinschaft in der Schule sorgt aber dafür, dass schon in der ersten Klasse jeder gut Englisch spricht.“

Der Englischlehrer Adamir kennt Deutschland und die Vereinigten Staaten - nur wer Gülen ist, weiß er nicht. Adamirs Eltern waren mit den Kindern vor dem Krieg auf dem Balkan zunächst nach Deutschland geflohen, vor zwölf Jahren ließen sie sich in New York nieder. Auch den Namen „Hizmet-Bewegung“ hat er nie gehört. Die Amity-Schule ist für ihn die richtige, weil er hier als Lehrer mehr Mitsprachemöglichkeiten hat als an anderen Schulen. Gottgefälligkeit drängt sich nicht auf. „Gott liebt jeden Menschen“, sagt Aksoy, der Unternehmer und Spender. „Besonders liebt Gott aber die guten Taten eines Menschen.“

Quelle: FAZ

Montag, 29. Oktober 2012

Der scheinbare Gegensatz zwischen Islam und Moderne

 

 

Prof. Dr. Nilüfer Göle:

„Der Westen muss die Bedeutung des Werts der Meinungsfreiheit, der sich in der Debatte als ein Teil der westlichen Hegemonialmacht zeigt, neu überdenken“, meint die Soziologin Prof. Dr. Nilüfer Göle.

Ist die Beleidigung religiöser Werte von der Meinungsfreiheit gedeckt? Warum können Teile der muslimischen Gemeinschaft eine offensichtliche Provokation nicht als solche erkennen? Die international angesehene Soziologin Nilüfer Göle analysiert die Probleme in jenem Bereich, in dem der Westen und der Islam unterschiedliche Vorstellungen aufweisen.

Der anti-islamische Film über das Leben des Propheten Mohammed und die Ermordung des US-Botschafters in Libyen haben die Problematik der wechselseitigen Wahrnehmungsdifferenzen zwischen dem Westen und der muslimischen Welt einmal mehr in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte rücken lassen.

Diese zwei Ereignisse stehen weder sinnbildlich für den Westen noch für die Muslime, sagt Prof. Dr. Göle. Ihrer Meinung nach hat die Globalisierung nur die krankhafte Dimension der Beziehung zwischen dem Westen und der muslimischen Welt offen gelegt. Sie ist der Meinung, dass die Meinungsfreiheit durch den Westen als „symbolische Form der Gewaltanwendung“ gezielt für einen Frontalangriff auf die religiösen Werte instrumentalisiert wird.

„Der Westen muss die Bedeutung des Werts der Meinungsfreiheit, der sich in der Debatte als ein Teil der westlichen Hegemonialmacht zeigt, neu überdenken“, meint Dr. Göle.

Das sei nicht leicht, da die Voraussetzungen der Meinungsfreiheit heutzutage eine Erosion erlitten hätten, sagt sie. Göle habe erkannt, dass, solange die Muslime ihre Religion in Europa praktizieren, sie bewusst oder unbewusst einige Grenzen überschreiten und der Westen mit Rechtsmitteln versuche, die Sichtbarkeit der Muslime in der Öffentlichkeit zu begrenzen. Der Gegensatz zwischen Islam und Moderne verflüchtige sich. Die geographischen und zeitlichen Grenzen heben sich auf. Uğur Kömeçoğlu von „Zaman“ sprach mit Göle:

Sie haben während der 90er-Jahre über den Islam in der Türkei geforscht. Ruft der Vergleich des Konfliktes zwischen Säkularismus und Religion in Europa mit dem in der Türkei vor 20 Jahren in Ihnen ein Déjà-vu hervor?

Wenn man das, was in Europa um den Islam herum geschieht, aus der Sicht der Türkei beobachtet, kann man dies sicherlich mit einem Déjà-vu oder mit einem bereits zuvor gesehenen Film vergleichen. Die Diskussionen in der Türkei rund um die Begriffe „Kopftuch“, „Säkularismus“ und „Republik“ sind nicht weit entfernt von denen, die in Frankreich stattfinden. Vor allem fällt die sich ähnelnde Terminologie auf. Es entsteht jedoch durch den „europäischen Islam“ ein anderer Sachverhalt. Die religiöse Praxis der europäischen Muslime zeigt viele europäische Züge. Die Muslime in der Türkei erscheinen dagegen ziemlich homogen.

Trotz der komplizierten Säkularisierung und der aktuellen Debatten ist das Praktizieren des Islam in der Türkei eine Normalität. In Europa kommen allerdings Debatten zu Tage, die in der Türkei als undenkbar erscheinen. Die Minarette der Moscheen, die „Halal“-Frage und sogar die Beschneidungsdebatte sind einige Beispiele hierfür. Im Gegensatz zu den anderen Religionen und Praktiken, die in Europa ihren Weg gefunden haben, hat der Islam noch keinen Platz im öffentlichen Leben und in den Traditionen Europas. Parallel zu der Tatsache, dass sich die Muslime in Europa einleben und einrichten, etabliert sich auch der Islam auf diesem Kontinent.

Wie wirkt sich der Identitätswandel auf die Gesellschaft aus?

Die Verknüpfung von Nationalität und Religion wird schwächer. Für die junge Generation verschwindet sie sogar weitgehend. Und es entsteht aus vielfältigen ethnischen und kulturellen Wurzeln eine neue Minderheit. Dabei gewinnt der Islam als verbindendes Element der Identität an Bedeutung. Kurz gesagt sind das soziale Klima, das Umfeld und die Organisationsformen als Glaubensgemeinschaft in Europa ganz andere als die in der Heimat.

Marokkanische, algerische, türkische und pakistanische Muslime, die aus verschiedenen Kulturen kommen, leben in Europa Tür an Tür. So können sie voneinander die unterschiedlichen Praktiken des Betens und der kulturellen Gewohnheiten entdecken. Der Besuch der gleichen Moschee, die Frage, in welcher Sprache die Predigt gehalten werden soll, Heiratsangelegenheiten und vieles andere werden zu Tagesthemen im Leben der europäischen Muslime. Sie leben den kosmopolitischen Islam, indem sie ihre „kleinen“ Unterschiede voneinander entdecken. Als Resultat entstehen Fragen, die nur den europäischen Islam und die europäischen Muslime betreffen. Der „Islam aus dem Mittleren Osten“ verliert langsam seinen Einfluss über die Muslime. Somit entstehen neue muslimische Wissenschaftler, Denker, Theologen und neue Fatwa-Zentren.

Viele gehen von zwei antagonistischen Identitäten aus: der Islam auf der einen, die Moderne auf der anderen Seite. Sie vertreten die These, dass sich diese beiden Identitätsblöcke auf der Mikro-Macht-Ebene treffen und sich verändern. Dieser Prozess ist sehr nervenaufreibend und führt auf beiden Seiten zu Energieverlust. Welchen Nutzen bringt diese Auseinandersetzung für beide Seiten?

Wenn wir uns die Auseinandersetzungen zwischen dem Islam und Europa ansehen, müssen wir zunächst versuchen, in das subjektive Leben der Muslime hineinzuschauen, deren Fragen zum Leben und die Spannungen in ihrer inneren Welt zu verstehen. Die Auseinandersetzung zwischen Islam und Europa findet ihre Antwort im individuellen Alltag der Muslime.

Der Übergang vom Säkularen zum Religiösen und umgekehrt ist ein Teil des täglichen Lebens der Muslime. Wir dürfen den Islam nicht als eine undurchsichtige Kategorie behandeln. Die Muslime in Europa versuchen, ihre Religion und ihren Glauben in einer Umwelt zu praktizieren, wo die Bequemlichkeit der traditionellen Rituale nicht existiert. Wir sprechen von einem Islam, der weniger traditionsbelastet ist, dafür umso bewusster gelebt wird, und der sich vor einer nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft behaupten und verteidigen muss. Je mehr die praktizierenden Muslime sich in Europa einleben, umso stärker werden sie von der Öffentlichkeit als religiöse Gruppe wahrgenommen. Ihre religiösen und kulturellen Besonderheiten zeigen die Muslime durch bewusste und unbewusste Überschreitungen und Verletzungen von sozialen Grenzen.

Sie zeigen sich mit religiösen Symbolen in säkularen Lebensbereichen. Von vielen Nichtmuslimen wird das als Herausforderung, teilweise als Provokation wahrgenommen. In diesem neuen Kontext gewinnen die religiösen Symbole und Praktiken eine neue Bedeutung. Die europäischen Regierungen versuchen mit neuen Gesetzen und Verboten gegen diese - als Grenzüberschreitung gesehene - religiöse Praxis im öffentlichen Raum vorzugehen. Die Folge ist, dass das Potenzial für Diskussionen, für das wechselseitige Kennenlernen und für die Erarbeitung gemeinsamer Lösungen – und das sind alles wichtige Voraussetzungen für einen Demokratisierungsprozess – eingeschränkt wird.
Die bekannte türkische Soziologin Prof. Dr. Nilüfer Göle unterrichtet an der Pariser Fakultät für Soziale Wissenschaften und der Bosporus Universität und beschäftigt sich unter anderem mit den Formen und Folgen gesellschaftlicher Modernisierung.

Samstag, 28. Juli 2012

Die Rolle der Musik im Interkulturellen Dialog - II

 

1.3 Begegnung mit Musik im Wandel der Zeit


Im Zeitalter von Globalisierung und multikultureller Gesellschaft spiegeln sich die Prozesse der Abgrenzung, der Begegnung, des Austausches, der Vermischung und der Zerschmelzung ohnehin schon heterogener Kulturen auch in der Musik wieder. Funktionen, Möglichkeiten und Stile der Musik sind heute noch vielfältiger den je, obschon durch die Dominanz einer globalen Kultur viele traditionelle und lokale Musikkulturen vom Aussterben bedroht sind. Musikproduktion und Rezeption unterliegt weltweit einem radikalen Wandel. Da auch die Rolle und Funktion der Musik im interkulturellen Dialog genauso davon betroffen ist wie sie ihn widerspiegelt und auf ihn reagiert, scheint es gut, sich der aktuellen Tendenzen und Prozesse zu vergewissern.
Viele tausend Jahre lang war live gespielte oder gesungene Musik fest im Alltagsleben der Menschen verwurzelt; darüber hinaus spielte die selbst erzeugte Musik bei Arbeit, Feiern, Kulten und Heilritualen eine wichtige Rolle. Heute ist die live aufgeführte Musik weitgehend von einer technisch übermittelten Übertragungsmusik abgelöst, die beliebig austauschbar und prinzipiell überall im Alltag konsumierbar ist bzw. konsumiert werden muss. Ein Weg der fremdbestimmten Dauerberieselung zu entkommen ist die bewusste, selbst bestimmte Entscheidung ein bestimmtes Musikstück zu hören oder zu spielen.27 Das aktive Musizieren ist in allen modernen Gesellschaften auf dem Rückzug, wenn nicht gar ganz aus dem alltäglichen Leben verschwunden. Live Musik wird vor allen Dingen noch im Rahmen von Bildungsstätten und Konzerten kultiviert und konserviert, wobei gegenüber der künstlerischen Funktion zahlreiche andere Funktionen der Musik im Bereich der Heilung, des Kultes, des Sozialwesen etc. mehr und mehr verloren gehen. Immer schon brachten kultureller Austausch, Reisen und Migration Menschen in Kontakt mit anderen Kulturen und deren Musik. Immer schon führten dieser Kontakt, sowie künstlerische Innovation zu Veränderungen in der Musik, welche neben der Bereicherung durch das Neue auch musikalisches Fremdeln bei den Zuhörern auslösten. Im 20.Jahrhundert waren es allerdings zwei sehr verschiedenartige Prozesse, welche den Wandel und die Fremdheit musikalischer Gestaltung stark beschleunigten. Zum einem sind es die Konzepte und das Verständnis der modernen Kunst, welches zu einem radikalen Wandel musikalischer Gestaltung führte, zum anderen ist es die Technisierung musikalischer Aufzeichnung und Produktion. So entstehen spätestens ab den 60iger Jahren des 20. Jahrhunderts als Massenphänomen viele neue Musikstile, aber auch Möglichkeiten der Aufzeichnung und Veröffentlichung bisher auf der Welt verborgener anderer, traditioneller und alter Musikkulturen.
Der musikalische Ausdruck der Fremden interessierte und faszinierte in der Zeit 60/70 Jahre vor allen Dingen die jugendliche Subkultur der Hippies. Aber auch Musiker und Musikethnologen sammelten in dieser Zeit viel Material traditioneller und lokaler Musikkulturen. Schon in den 70iger Jahren entstanden noch in der Hippiebewegung die ersten interkulturellen Musikprojekte wie etwa Ginger Bakers Airforce und Embryos Reise. Dieses Interesse an Weltmusik wurde in den 80 Jahren des 20.Jhr. so groß, dass z.B. auf der Ebene der Avantgarde Festivals des New Jazz immer auch Weltmusik integriert wurde. Tanz- und Vermarktbarkeit führte auch zum Boom der Weltmusik im Bereich des Mainstream populärer Musik der Discos und Charts. Gleichzeitig dokumentierten Radioreporter und Musikethnologen das kulturelle musikalische Erbe der Menschheitsgeschichte bevor es in den nächsten Jahrzehnten mehr und mehr verschwinden sollte. Auch die Arbeit im interkulturellen Dialog profitierte von diesem Interesse an Weltmusik. Hatten die Migranten ausgeschlossen von der Öffentlichkeit zunächst nur aus Pflege und Ausdruck der eigenen kulturellen Identität musiziert, öffneten sich dieser Zeit die Kulturen mehr als früher einer breiteren deutschen Öffentlichkeit und fanden nun auch mehr Akzeptanz für ihre musikalische Kultur.
In den 90iger Jahren entwickelten sich durch die künstlerische Arbeit der musikalischen Avantgarde, sowie durch intensive Vermischung populärer Stile im Bereich des Mainstream Fusionen die zwar verschiedene Musikstile in der Fusion erfolgreich integrierten, die aber immer weniger Bezug zu ihrer soziokulturellen Herkunft aufwiesen. Auf der musikalischen Ebene spiegelt das eine Auflösung kultureller Identitäten, welche nur zum Teil als erfolgreiche interkulturelle Kompetenz und neue interkulturelle Identität angesehen werden kann und auch Züge von Assimilation trägt, in welcher traditionelle geographische Musik-Identitäten durch den Mainstream einer globalen Pop und Musikkultur aufgesogen werden.
In einem Interview der Sende Reihe: „Neugier genügt“ (WDR 5/Februar 2005) bringt ein indonesischer Gamelan Spieler, welcher in einer indonesischen Metropole lebt, die Situation traditioneller lokaler Musikkulturen prägnant und authentisch auf den Punkt: „Immer schon haben sich die traditionellen Spielstiele des Gamelan und der Puppenspiele durch gesellschaftlichen Wandel verändert. Heute aber ist der gesellschaftliche Wandel so schnell, dass es nicht mehr möglich ist, mit der Quelle der Tradition in Kontakt zu bleiben. Der gesellschaftliche Druck zur Veränderung ist so stark, dass es nicht mehr zum Ausdruck kommt, wenn Ausdruck nicht mehr möglich ist, kommt es zur Explosion“ .

 

2. Die Thesen des Deutschen Musikrates

 

Unter dem Schlagwort „Kulturelle Identitäten stärken - interkulturellen Dialog ermöglichen“ formuliert der deutsche Musikrat im Jahre 2005 seine Basisthese: „Die Wahrnehmung unterschiedlicher Identitäten kann nur durch eine Position des „sich selbst bewusst seins“ gelingen - denn wer das eigene nicht kennt, kann das Andere nicht erkennen geschweige denn schätzen lernen.“ Stärkung der kulturellen Identität ermöglicht einen gleichberechtigten und selbstbewussten Dialog auf Augenhöhe, welcher eine Grundbedingung für einen gleichberechtigten und gelingenden Dialog / Kommunikation ist. Musik ist dabei sicherlich ein Medium der Identitätsbildung, mit dem es möglich ist, sich auf die eigene Kultur und ihre Werte rückzubesinnen und hervorragend dazu geeignet, sich selbst und kulturelle Werte in seiner Ganzheit und Sinnhaftigkeit mitzuteilen und zugleich in ihrer Andersartigkeit erfahrbar werden zu lassen.
Diese Basisthese und die Reflexion der Neugier und Offenheit jedes neugeborenen Kindes als Chance und Verantwortung, diese Selbstbewusstsein im Sinne einer breit angelegten und qualifizierten musikalischen Bildung anzulegen, führt zu praxisnahen Forderungen für musikalische Bildung, Musikpädagogik, Politik und Gemeinwesen und Präsentation von Musik in der Gesellschaft. So fordert der deutsche Musikrat:
Jedes Kind muss unabhängig seiner sozialen und ethnischen Herkunft, die Chance auf ein qualifiziertes und breit angelegtes Angebot musikalischer Bildung erhalten, dass die Musik anderer Ethnien einschließt.
Musikalische Ausbildung und interkulturelle Kompetenz für Erzieher/innen
Schule muss als Ort kultureller Identitätsbildung und interkultureller Begegnung auch Musikunterricht durchgängig und interkulturell gestalten.
Das Laienmusizieren muss als Fundament kultureller Identitätsbildung und Plattform interkultureller Dialoge gestärkt und ausgebaut werden
Die Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft müssen sich ihrer Verantwortung für den interkulturellen Dialog bewusst werden. Der deutsche Musikrat wird eine Task-Force einsetzen, die musikpolitische Arbeit und seine Projekte im Hinblick auf interkulturellen Kompetenzzuwachs evaluieren wird.
Bildungseinrichtungen für Musik sollen ihre Angebote auf den Ausbau möglicher Handlungsfelder zur Beförderung des interkulturellen Dialogs überprüfen. Dabei geht es nicht um mediale Befriedigung eventartiger Kurzschlüsse, die im Sinne einer Nachhaltigkeit eher kontraproduktiv wirken, aber leider in den Förderpraxen von der öffentlichen Hand und privaten Geldgebern gerne gesehen sind.
Die Medien müssen ihrer Multiplikatorenrolle für Bildung, Kultur und interkulturellen Dialog viel intensiver gerecht werden.
Die auswärtige Kulturpolitik muss zentraler Mittler für interkulturellen Dialog sein. Es bedarf vor allen Dingen Förderung von Begegnungsprogrammen, dies sowohl für Laienmusiker, wie für professionelle junge Musiker/innen.


3. Skizzenblock der Musik im Interkulturellen Dialog

 

3.1 Musik ist mehr oder die Reduktion der Musik auf Kunst

 

Die Thesen des deutschen Musikrates sind Ergebnis konkreter Erfahrungen des interkulturellen Dialogs und musikpädagogischer Praxis, dabei reagieren sie exakt auf bestehende Mängel und formulieren wünschenswerte Änderungen. Deutlich wird auch, dass nicht nur alte traditionelle Musikstile anderer Kulturen vom Aussterben und Wegfall der Sinnkontexte betroffen sind, sondern auch die deutsche Volksmusik, die klassische Musik des Abendlandes oder die moderne ernste Musik um ihren Nachwuchs fürchten, da diese Musikstile nicht mehr im Lebensalltag der Menschen integriert sind, sondern in der Kunst nun aussterbenden Spezialisten und Profimusikern überlassen wurden. So sieht der deutsche Musikrat im Ausbau des Laienmusizierens, in der Förderung auswärtiger Kulturpolitik und in Begegnungsprogrammen für junge Musiker auch eine Chance ausgebildeten alten wie jungen Musikern eine gesellschaftliche Aufgabe und Finanzierung zuzuweisen.
Sicherlich ist die konzertante Musik als anerkannte Kunstform und Kulturgut auch geeignet, als Botschafter eine Kultur nach außen zu vertreten und zu repräsentieren. Der musikalische Vortrag ist aber naturgemäß kein Dialog, sondern ein Monolog mit starkem Sendebewusstsein. Dem Zuhörer bleibt dabei die aktive Rezeptivität. Traditionelle Musik (Musik jenseits modernen Kunstverständnisses) oder Musik überhaupt ins Rampenlicht der Bühne zu rücken heißt sie außerhalb ihrer sozial-historischen Sinnkontextes oder Lebenspraxis zu stellen/bzw. zu erleben. Aus unserer Sicht ist dies eine folgenschwere Reduzierung der Musik auf eine Kunstform. In traditionellen Kulturen ist Musik eingebettet in einen Sinnkontext und eine Lebenspraxis. Nur wenn dieser erfahrbar wird besteht, die Möglichkeit, Musik als Ausdruck einer anderen Kultur und des sozio-historischen Wirkgefüges nachzuvollziehen. Spricht man mit Menschen, Musikern und Organisatoren des interkulturellen Dialogs wird Musik oft als Brücke zwischen den Kulturen angesehen. Zugrunde liegt dabei eine Sicht die aufgrund von Vorsprachlichkeit, Emotionalität und interpretatorischer Offenheit des musikalischen Ausdrucks, Musik als von allen Menschen verstehbar ansieht. Prinzipiell kann Musik diese Dimension auch erreichen, es ist aber ebenso möglich, dass in ihr dieselben Projektionen, Missverständnisse und Vorurteile zum tragen kommen wie insgesamt. Ob es dem Zuhörer gelingt die Musik als Brücke zu anderen Kultur zu betreten, bleibt somit offen und ist eher vom Psychologischen als vom Musikalischen bestimmt.

3.2 Ist das Fremde wirklich fremd ?- Vom Verlust kultureller Identität zum Selbst

 

Sicher scheint zunächst nur „Musik als Kunst bzw. Kulturgut“ längst ein weltweit verbreiteter gemeinsamer Wert und Zeichen einer globalen Kultur. Mögen die Inhalte des Bühnengeschehens auch fremd sein, die Bühne ist es nicht. So lässt sich hier fragen, ob die der Musik als Kunst dargebrachte Akzeptanz, nicht vielmehr eine gemeinsame Kultur der Kunstwertschätzung über Ländergrenzen hinweg belegt, als dass das Andere/die Differenz in der Kunst zu erfahren gelingt. Anders gesagt: Differenzen überhören ist nicht zuhören. Längst sind fremde Kulturen nicht mehr fremd und die eigene Kultur der Vergangenheit ist einem fremd geworden. Schon immer waren Kulturen mehr oder weniger fremd. Schon immer gab es Einheit in der Vielfalt, genauso wie Vielfalt in der Einheit. Ob wir Differenz oder Gemeinsamkeit erfahren, liegt im Auge des Betrachters verborgen.
Moderne globalisierte Gesellschaften sind heute äußerst heterogen und vielschichtig. Der beschleunigte Wandel wie die Umwälzungen durch Globalisierung führt allerorten zum Verlust von Traditionen und kultureller Identität/Einheit, sie macht Entwurzelung und kulturelle Relativität spürbar. Kulturphilosophen sprechen vom „zerbrochenen Spiegel“, traditionelle Musiker vom Verlorensein im globalen Raum. So müssen wir heute für viele Menschen und ganze Gesellschaften von einem Verlust kultureller Identität ausgehen. In diesen Zeiten ist es für viele Menschen schwer geworden, die Komplexität einer globalen Kultur neurologisch zu integrieren. Reduktion, Selektion, Abgrenzungen, Rückgriff auf Vergangenes, Zugehörigkeit zu Teilgruppen etc. gehören genauso zu Bewältigungsstrategien diese Lebens in der Welt wie die emotionale Verankerung in Musikstilen und kultureller Identität. Die Konstruktion einer kultureller Identität durch den einzelnen oder auch Gruppen ist dabei selektiv von Interessen geleitet und realisiert in Leben und Denken immer nur Ausschnitte aus einem Meer an Möglichkeiten der Geschichten, der Herkunft und der kulturellen Identität.
Die zentrale These des deutschen Musikrates greift auf psychologisches Wissen zurück. Nur eine starkes und gesundes Selbstbewusstsein, kann in den Dialog mit dem Anderen treten ohne seine Schattenseiten zu projizieren, ohne die Angst sich selbst zu verlieren, ohne sich durch Andersartigkeit fundamental in Frage gestellt zu werden. Dies ist sicherlich richtig. Richtig ist auch, dass eine Stärkung seiner kulturellen Identität die Identität des Einzelnen stärkt. In Zeiten in denen kulturelle Identität nicht mehr eindeutig ist, ist es aber fraglich, welche Identität es denn zu stärken gilt. Längst leben wir im Zwischeneinander der Kulturen.
Konkret deutlich wird dies z.B. in der Forderung nach einem qualifizierten und breit angelegten Angebot musikalischer Bildung, dass die Musik anderer Ethnien einschließt, und die Schaffung eines interkulturellen Musikunterrichtes etc. forciert. Sicher ist, dass eine musikalische Bildung, in welcher verschiedenste Melodien, verschiedene Rhythmen, verschiedenen Weltanschauungen zum tragen kommen, sich günstig auf die Musikalität des Kindes auswirken. Aber fördert es wirklich ein Bewusstsein der eigenen kulturellen Identität oder schafft es mit den musikalischen Repräsentationen nicht vielmehr eine neue interkulturelle Identität, welche trotz subjektiver oder normativer Vorlieben andere Musik-Lebensstile akzeptiert und emotional versteht? Diese interkulturelle Identität könnte die integrative Kraft besitzen, heutige kulturelle Differenzen zu lösen, wäre aber sicherlich nicht mehr in der Lage, außerhalb von Sprache bzw. musikalisch in ihrer kulturellen Herkunftsgeschichte zu wurzeln.
Als wesentliche Grundpfeiler im Dialog der Kulturen gelten Selbstbewusstsein, Offenheit und Neugier. Doch sind Selbstbewusstsein, Offenheit und Neugier immer mehr oder weniger vorhanden. Im von Ideologien, Interessen, Vorstellungen und starken Gefühlen geleiteten Verhalten von Menschen geht gerade diese Bewusstseinsdimension schnell verloren. (vgl COAL S. 36) Der deutsche Musikrat sieht so nicht ohne Grund die größten Chancen für Offenheit und Neugier bei Kindern als am größten an. Akzeptanz, Offenheit, Neugier und Selbstbewusstsein sind auch die Grundpfeiler dafür, dass die Rezeption von Musik zur Einfühlung und zum emotionalen Verstehen einer Musikkultur werden kann. Identität und Selbstbewusstsein aber sind nicht deckungsgleich. Wesentliche Teile bewusster wie unbewusster Identität verhindern oft gerade wirkliche Offenheit. Der Begriff des Selbst hingegen ist aus psychologischer Sicht semantisch offen und treibt auf den Ozean der Einheit hinaus. So enthält er sehr viele Impulse für ein Selbstbewusstsein jenseits von
Identität.

 

3.3 Musik als Weg in die Gemeinsamkeit

 

Aus unserer Sicht ist ein wirklicher Dialog durch verstehenden Nachvollzug möglich. Kulturgüter wie etwa Musikkompositionen und Dichtung bilden durch ihre große Stabilität und ihre hohe synthetische Kraft dafür ein geeignetes Medium. Offenheit und Akzeptanz für Fremdes setzt Vertrauen und Sicherheit voraus. Konzertsäle und Bühnen bieten einen sicheren Rahmen, sich dem Fremden zu öffnen und mit ihm zu identifizieren. Im emotionalen Nachvollzug wird ein Verstehen seiner selbst, genauso möglich wie eine Einfühlung in das Andere. Das vermeintlich Andere birgt und repräsentiert letztlich nur andere Möglichkeiten ein und des selben Mensch-Seins. Informationen über den Kontext sind für den Zuschauer ein erster Schritt, die Musik in ihrem Sinnkontext und ihrer Lebenspraxis nachzuvollziehen. Mit wachsender Vertrautheit wird es auch möglich, sich fremd zu werden, praktische Erfahrungen im eigenen musikalischen Spiel und singen fremder Melodien zu machen. Denn die Methode des Verstehender Nachvollzug beinhaltet Wahrnehmung und praktische Nachahmung, erst dann wird es möglich kulturelle Schätze zu heben oder vergessenen Ressourcen in das eigene Leben zu integrieren und zwar unabhängig davon, ob man kulturfremd oder Angehöriger der Kultur ist. Musik spiegelt die Kultur eines Volkes wieder, sowie seine Mentalität und seine Psyche. Also lohnt es sich die Mühe zu machen, um eine fremde Kultur kennenzulernen.
Auch der türkisch-muslimischer Geistiger und Prädiger Gülen denkt positiv über die Musik und sagt:“ Musik ist ein Weg, eine Kunst und eine Notwendigkeit. Musik hören liegt in der Natur des Menschen, so wie auch die Eigenschaften Gier, Ehrgeiz, Lust, Neid usw. zum Menschsein gehören. Musikhören ist was Schönes. Das schlechte daran ist, dass der Mensch um seinen Egowillen versucht, diese Eigenschaften in die falschen Fährten lenkt. Mit seinem guten Willen könnte er mit diesen Eigenschaften eine positive Richtung steuern, um gute Dinge auf die Welt zu setzen.“ (Eine Übersetzung aus dem Auszug „Musiki üzerine düşünceler“ Fethullah Gülen 16.01.2012)
Dieser Gedanke käme für viele traditionellen muslimischen Geistigen oder Prädigern extraoridinär vor und die Rolle der Musik innerhalb der muslimischen Community noch nicht genug geschätzt.

Fortsetzung folgt

Freitag, 29. Juni 2012

Gülen: Warum er bei den türkischstämmigen Muslimen beliebt ist

 

Die nach dem muslimischen Intellektuellen und Prediger Fethullah Gülen benannte Gülen-Bewegung ist bei vielen Migranten mit türkischem Migrationshintergrund sehr beliebt. Insbesondere die Bildungs- und Dialogaktivitäten stoßen auf große Zustimmung. Das hat seine Gründe. In diesem Artikel möchte ich anhand einiger Aspekte darstellen, warum das so ist.

1. Die türkischstämmigen Muslime in Deutschland befürworten und lieben die hiesige Demokratie und wollen einen Islam, der für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie ist. Denn die Freiheiten, die die Muslime in diesem Land genießen sind für sie sehr wertvoll. Mit seinen Artikeln zur Vereinbarkeit von Islam und Demokratie und seinen Aussagen zur Trennung von Staat und Religion, die er bereits in den 90er Jahre verfasste, also als noch niemand in der muslimischen Welt davon sprach, versuchte Gülen deutlich zu machen, dass der Islam kein bestimmtes Staatsverständnis vertritt. In der Demokratie sieht er ein System, das auch nach religiösen Quellen unbedenklich ist und von dem es kein Zurück gibt. Gleichzeitig sehen immer mehr Muslime mit türkischem Migrationshintergrund Deutschland als ihre Heimat. Sie wollen sich hier für diese Gesellschaft engagieren und sich für gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt stark machen. Gülen legt den Menschen nahe, das Land in dem sie leben zu lieben. Genau deshalb sind seine Ansichten für türkischstämmige in Deutschland wertvoll.

2. Das Leben in Deutschland ist intensiv von Begegnungen mit dem Anderen geprägt. Im Kindergarten, in der Schule, an der Universität, im Berufsleben und vor allem aber auch in der Nachbarschaft hat man Freunde und Bekannte, die Christen, Juden, Atheisten, Buddhisten und Agnostiker sind. Fethullah Gülen spricht sich dafür aus, den gegenüber so zu lieben, wie er ist und ihn in seiner Lebensphilosophie voll und ganz zu respektieren. Gülen unterstreicht Toleranz und Liebe gegenüber allen Geschöpfen als Lehre des Islam. Ein Islamverständnis, dass nicht auf Abgrenzung und Mission ausgelegt ist, sondern auf Inklusion und Toleranz kommt bei den Muslimen hierzulande sehr gut an. Hier ist Gülen auf einer Linie mit den Sufi-Meistern Yunus Emre und Mevlana, die weltweit für ein Philosophie der Versöhnung bekannt sind.

3. Für in Deutschland aufgewachsene türkischstämmige Muslime spielte die kurdische und auch die türkische Identität sowie auch die Zugehörigkeit zur sunnitischen oder alevitischen Konfession zunächst keine Rolle. Sie waren Menschen aus der Türkei, die das gleiche Schicksal teilten. Viele Kurden und Türken sind daher eng befreundet. Mischehen sind absolute Normalität. Fethullah Gülen unterstreicht in seinen Aussagen, dass Terror nicht mit Waffen besiegt werden kann. Nur durch Versöhnung, Liebe und Dialog könne man einen wahren Frieden erreichen. Genau aus diesem Grund greifen viele türkischstämmige diese Ideen auf und setzen sich für den kurdisch-türkischen und auch für den sunnitisch-alevitischen Dialog ein.

4. Ein gesellschaftlicher Aufstieg ist nur durch Bildung möglich. Dabei sollte man Bildung nicht nur als Schulbildung, sondern auch als Bildung im weitesten Sinne verstehen. Denn Unwissenheit und Vorurteile gegenüber dem Anderen sind die vielleicht wichtigsten Quellen unserer gesellschaftlichen Probleme. Der Einsatz für Bildung, den Gülen den Muslimen nahelegt, macht ihn im Umfeld der türkischstämmigen sehr beliebt.

5. Muslimische Frauen wollen die Gleichstellung von Mann und Frau. Auch wenn in vielen Debatten über die Frau im Islam und das Kopftuch diskutiert wird, belegen Statistiken, dass gerade die Mädchen und Frauen oft erfolgreicher und besser integriert sind. Die Muslimas wollen kein Leben Zuhause am Herd, sondern wollen studieren und wollen Karriere machen. Sie wollen die Gleichstellung von Mann und Frau im Islam, die Gülen formuliert. Ein Islam, wie ihn Gülen interpretiert kommt da genau richtig.
Für viele der in Deutschland aufgewachsenen Muslime mit türkischem Migrationshintergrund sind all diese Aspekte in ihrem Alltag von großer Bedeutung. Auch wenn der kulturell gelebte Islam ihrer Eltern oft anderer Meinung ist, bietet sich ihnen so die Möglichkeit, Tradition mit Moderne in Verbindung zu bringen. Ein Islamverständnis, das provoziert, isoliert und die Mehrheitsgesellschaft beleidigt schadet der gesamten Gesellschaft und dem friedlichen Zusammenleben. Gülen verdeutlicht in seinen Schriften wie die Muslime in ihrem Alltag ein pragmatisches Islamverständnis leben können. Er motiviert sie dazu fleißig zu sein, sich zu engagieren und sich für Dialog und Bildung einzusetzen. Das ist das Islamverständnis, das wir in Deutschland brauchen.

Ercan Karakoyun

Mittwoch, 13. Juni 2012

Die Rolle der Musik im Interkulturellen Dialog-I


In Teilen der Gesellschaft ist in den letzten Jahren das Bewusstsein um die Wichtigkeit des interkultureller Dialogs gewachsen. In Theorie und Praxis des Dialogs gibt es jedoch auch Grundannahmen, begriffliche Unschärfen und Schattenseiten, welche einer größeren Effektivität gelebten Dialogs und Integration im Wege stehen. Mögliche Beispiele sind nicht nur Begrifflichkeiten wie „Teufelskreis der Abschottung von Teilkulturen“ und „Leitkultur“, sondern auch ein im Zentrum der Reflexion stehender unscharfer Dialogbegriff. Reflexion und Modelle des interkulturellen Dialogs sind noch nicht gelebte Praxis. Dialog in unserem Sinne meint mehr als Austausch und miteinander reden. Gelebter Dialog führt in die Erfahrung des Anderen und in das Gewahrsein etwas Größeren. Folgen wir Martin Buber so entsteht wirklicher Dialog nur in einer Ich-Du Beziehung, welche die Verdinglichung des anderen Menschen aufhebt und emotionalen Austausch beinhaltet, was nichts anderes bedeutet als dass sie die Grenzen des Ich und der eigenen Identität tranzendiert. Folgen wir den Erfahrungen aus Pädagogik und Interpersoneller Neurobiologie, so sind Grund-Bedingungen der dialogischen Struktur und der Empathie die Nachahmung bzw. die Spiegelfähigkeit des Menschen.

1. Musik zwischen Vertrautheit und Fremdheit

Im interkulturellen Dialog geraten zumeist folgende Funktionen der Musik in den Focus von Reflexion und Praxis:
  • Die Besinnung auf das eigene Kulturgut als Anker oder zur Rekonstruktion der eigenen Identität, sowie zur Repräsentation/ bzw. Erfahrung der eigenen /bzw. fremden Kultur in der Fremde/bzw. Heimat. 
  • Musik als Brücke zu anderen Kulturen
  • Gemeinsames musizieren als Austausch/Begegnung zwischen professionellen oder Laien- Musikern. Musikalischer Dialog als alternatives Medium zur Sprache.
  • Musik mit ihrer Sinnhaftigkeit und emotionalisierenden Wirkung als auflockerndes Rahmenprogramm und Ausgleich zu kognitiv-sprachlichen Teilen des Dialogs
  • Stile musikalischer Fusion als Beispiele für die Möglichkeit der Integration verschiedener Kulturen in der Person des Musikers
Intention und Reflexion der Musik im interkulturellen Dialog sind zumeist von kulturpolitischen und musikpädagogischen Fragestellungen bestimmt. Darüber hinaus gibt es aber auch im Bereich der Ethnotherapien und dem therapeutischen Einsatz von Musik/Instrumenten anderer Kulturen bzw. der musiktherapeutischen Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund weit reichende Erfahrungen, welche in der öffentlichen Reflexion kaum Berücksichtigung finden. Dabei äußern sich gerade Musiktherapeuten sehr konkret und aus der Erfahrung zu Fragen der musikalischen Empathie und dem Dialogischen Spiels mit Musik. Grundlage des musikalischen Dialogs ist in der Musiktherapie meist die Methode der freien Improvisation. Interessant ist dabei z.B. die Darstellung der freien Improvisation/bzw. der Kunst als kulturübergreifende Methode von Roeske: „Frei improvisierte Musik ohne festen Bezug zu überlieferten Rhythmus-, Melodie- oder Harmoniestrukturen kommt in keiner musikalischen Kultur vor, die bestimmten ethnischen oder geographischen Gruppierungen zuzuordnen wäre. Freie Improvisation als Kunstform existiert nur im „Free Jazz“ oder der neueren modernen Klassik.“ (Plahl/Koch-Temming 2005/S.302)
Bevor wir uns aber einem so komplexen und vielschichtigen Thema wie „Die Rolle der Musik im Interkulturellen Dialog“ zuwenden wollen, scheint es uns ratsam, uns der Musik als Phänomen zwischen Vertrautheit und Fremdheit, wie auch Annahme und Ablehnung zu vergewissern.

1.1 Musik als sozial-historisches Phänomen

„Neben kulturübergreifenden musikalischen Gemeinsamkeiten, die sich noch heute in vielen Gesellschaften finden lassen, haben sich im Laufe der menschlichen Zivilisation zahlreiche Musikkulturen mit unterschiedlichen Musikpraktiken und Musikstilen entwickelt……Die unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen von Musik sind von Menschen erfundene, sozial akzeptierte Klangmuster, die durch gemeinsame Handlungen entstanden sind (Blacking 1995). Erst durch den sozialen und kulturellen Kontext kann Musik ihre jeweilige Bedeutung erhalten und erst durch das verstehende Zuhören eines Menschen kann aus einem Geräusch oder einem Klang Musik werden.“ (zitiert nach Plahl/Koch -Temming 2005)
Musik gilt uns als vom sozial-historischen Kontext abhängiges Phänomen und kann in ihrer Gesamtheit nur von Menschen aus dem sozial-historischen Milieu verstanden und gelebt werden, indem die Musik aktuell lebt. Die Begegnung und die Rezeption mit musikalischen Ausdruckformen anderer Kulturen, aber auch Teil- und Subkulturen der eigenen Kultur (z.B. Jugendkultur / künstlerische Avantgarde) ist so oft in erheblichen Maße von Miss-verständnissen, Unverständnis oder gar Ablehnung geprägt.

1.2 Musik als allgemein menschliches Phänomen

Wenn aber die Musik des Anderen in diesem Sinne nicht zu verstehen ist, was sind dann die Voraussetzungen für die beobachtbare konstruktive Rolle der Musik im interkulturellen Dialog. Zu diesen Fragen gibt es verschiedene Zugangsweisen., die wir später weiter diskutieren wollen, beschränken wir uns zunächst auf die Vorsprachlichkeit der Sprache.
Evolutionsgeschichtlich haben die Menschen vermutlich Klänge, rhythmische Laute, Gesänge und Tänze zur Kommunikation genutzt bevor sie über Sprache verfügten. Während sich Sprache als Mittel zur differenzierten Verständigung, aufgrund ihrer Eindeutigkeit und höheren Effizienz durchsetzte, behielt die Musik als emotionaler und ästhetischer Ausdruck eine herausragende Bedeutung für die Gemeinschaft und hatte wichtige Funktionen bei Festen, Kulten, Heilritualen und der Arbeit. Musik zeichnete sich dabei vor allen Dingen dadurch aus, dass sie es ermöglichte innere wie äußere Abläufe innerhalb größerer Gruppen zu synchronisieren und einen gemeinsamen und integrativen Erlebnisraum zu schaffen.
Diese „Vorsprachlichkeit“ der Musik und der neurophysiologischen Nähe musikalischer Reizverarbeitung zum emotionalen Zentrum des Gehirns, sowie zu noch ältern Schichten des Gehirns, welche Körperprozesse steuern (wodurch körperliche Wirkungen der Musik erklärt werden können) bildet sicherlich eine Basis für eine kulturübergreifende Erfahrung und Empfindung des Menschen. (vgl.S.25 Plahl/Koch-Temming 2005) Dies kommt konkret vielleicht am besten am Beispiel der Wiegenlieder auf den Punkt:
„Weltweit und nahe zu in allen Kulturen finden sich in allen Wiegenliedern weiche abfallende Melodieverläufe, ein langsames Tempo, eine relativ einfache Struktur und viele Wiederholungen. Diese Übereinstimmung ist nicht allzu verwunderlich, da Wiegenlieder überall auf der Welt die gleiche Funktion haben, nämlich Babys zu beruhigen. Interessant ist allerdings… dass sich bei allen Menschen, die ein Baby durch sprechen beruhigen, genau dieselben Besonderheiten in ihrer Sprache finden lassen: Die Sprachmelodie hat eine abfallende Kontur, das Sprechtempo ist langsam, die Satzstrukturen sind einfach und bestehen aus vielen Wiederholungen. Selbst in Kulturen mit Tonsprache wie etwa in China, bei denen die Tonhöhe eines Vokals die Bedeutung eines Wortes bestimmt, lassen sich solche sprachmelodischen Bedeutungen finden. Offensichtlich haben die frühen musikalischen Kommunikationsfähigkeiten des Kindes in Verbindung mit den intuitiven elterlichen Kompetenzen einen besonderen Stellenwert in der Evolution des Menschen (Papousek 1991)“ (zitiert nach Plahl/Koch –Temming 2005/S.28)
In musiktherapeutischen empirischen Forschungen finden wir ebenfalls viele Belege für eine kulturunabhängige körperlich mentale Musikwirkung und Empfindung. So ließen sich in der Arbeit mit westdeutschen Angstpatienten von Gutjahr/Güvenc (Güvenc 1989) mit Zen und Türkischer Makkam wesentlich bessere Ergebnisse erzielen als mit Schönebergs atonaler Musik oder vertrauter Rockmusik. Bei weiteren Studien seit 1991 zur Wirksamkeit alt-orientalischer Musiktherapie bei westlichen Menschen ließ sich (neben der körperlich-physiologischen Wirkung) z.B. eine Übereinstimmung der Erfahrung und Benennung von Grundgefühlen durch die Klienten mit den von alten orientalischen Musiktheorien (etwa 12.-14.Jhr) bestimmten musikalischen Modi zugeordneten Gefühlen feststellen(vgl. Touma S.64).
An dieser Stelle müssen wir aber auch reflektieren, dass der Musik keine Wirkung an sich inne ist. Wichtige Voraussetzung und Bedingung für die erfolgreiche Arbeit mit dem Kulturgut anderer Kulturen ist das Interesse des Patienten/bzw. des Hörers an Musik und auch seiner interpretatorische Offenheit, sich einer Erfahrung jenseits von Erwartung, Vorurteilen im positiven Sinne gleichgültig auszusetzen.

Fortsetzung folgt

Dienstag, 15. Mai 2012

Deutsche Wirtschaft kein Interesse an hochqualifizierten Migrantinnen?


Hochqualifizierte Migrantinnen k Deutsche Wirtschaft kein Interesse an hochqualifizierten Migrantinnen?Studie 

Eine zweijährige Studie des BMBF belegt, auf welche Schwierigkeiten hochqualifizierte Migrantinnen in Deutschland treffen. Eine inadäquate Beschäftigung und eine mangelnde Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen und Abschlüsse sind nicht selten. Dazu kommen die gleichen Probleme mit denen auch deutsche Frauen zu kämpfen haben.

 

 

Unter dem Titel „Arbeitsmarktintegration hochqualifizierter Migrantinnen – Berufsverläufe in Naturwissenschaft und Technik“ untersuchte ein Forschungsverbund die Zugangschancen und Integrationsverläufe von hochqualifizierten Migrantinnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Unternehmen des Technologiesektors. Man fragte sich wie Migrantinnen in Spitzenpositionen vertreten sind und wie sich ihr Weg dorthin gestaltet. Vor allem ob Geschlecht und Migration Einfluss auf den Berufsverlauf haben. Die Studie wurde von der HU Berlin, der TU Hamburg-Harburg und der RWTH Aachen im Rahmen eines vom BMBF und Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Forschungsprojekt erstellt.

Hochqualifizierte Migrantinnen sind oft nicht ausbildungsadäquat beschäftigt
Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass hochqualifizierte Migrantinnen auch mehrere Jahre nach ihrer Migration nach Deutschland einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. 2009 waren etwa 40 Prozent der in Deutschland lebenden hochqualifizierten Migrantinnen zwischen 23 und 65 Jahren nicht erwerbstätig. Im Vergleich zu hochqualifizierten Frauen und Männern ohne Migrationshintergrund ist eine Minderheit der ebenso qualifizierten Migrantinnen ausbildungsadäquat beschäftigt. Oft arbeiten diese Migrantinnen vielmehr in teilzeitlichen Arbeitsverhältnisse und sogenannten typischen Frauenberufen, Tätigkeiten in Handel und Verwaltung oder personenbezogene nicht-wissenschaftlichen Dienstleistungen. Dadurch haben sie ein niedriges Einkommen, geringe Aufstiegsmöglichkeiten und eine niedrige Arbeitsplatzsicherheit.

Netzwerke verhelfen zum beruflichen Aufstieg
Eine erfolgreiche berufliche Laufbahn von Migrantinnen erweist sich oft als schwierig. Ihre Qualifikationen in Technik und Naturwissenschaft würden der Studie zufolge oft aufgrund ihres Geschlechts und des Erwerbs im Ausland abgewertet. Hinzu kommt, dass unvollkommene Sprachkenntnisse oft mit fachlicher Inkompetenz gleichgesetzt werden. Von Seiten der Migrantinnen wird vor allem ein unzureichender Zugang zu Informationen und Sprachkursen auf einem hohen Niveau bemängelt. So entwickelten Migrantinnen ein hohes Maß an Eigeninitiative um etwa Fachvokabular zu erlernen und passen sich schnell an die jeweilige Unternehmenskultur an. Durch Eigeninitiative allein ist ein Aufstieg aber oft noch nicht möglich. Berufsbezogene Netzwerke sind hierbei enorm hilfreich, um schließlich auch die „gläserne Decke“ zu durchbrechen.
Ein weiteres Problem am deutschen Arbeitsmarkt ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Fehlende Einrichtungen für Kinderbetreuung, eine wenig familienfreundliche Arbeitskultur, der Ausschluss von Frauen von höheren Positionen und eine hohe Verfügbarkeit für Arbeitsplätze in technologischen und wissenschaftlichen Berufen erschweren vielen Frauen einen beruflichen Aufstieg.

Quelle: Migration-Business.de

Freitag, 27. April 2012

Emotionale Integration in Deutschland? Ein Zwischenbericht!

 

„Heute esse ich bei meinen Großeltern zu Mittag“, flüstert mir Sascha, ein deutschstämmiger Klassenkamerad, während der Schulstunde ins Ohr. Dabei schaut er aufgeregt nach der Uhr, wackelt ungeduldig auf dem Stuhl und endlich, es klingelt! Er packt mit einem Ruck die Schultasche, ein kleiner Wink und Tschüss, weg war er.

 

Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie ich Sascha an jenem Augenblick beneidet habe. Meine Gedanken waren auf einmal bei meinem Opa: ‚Ach wie gerne ich doch in dem Moment bei ihm wäre, mit ihm zu Mittag essen und mir seine Geschichten anhören würde‘, dachte ich an jenem Mittag! Er konnte sehr fesselnde, spannende und witzige Geschichten über sich selbst erzählen. Als Jugendlicher hat er sich nämlich einen mutigen Traum verwirk-licht. Er wollte die außerhalb seiner sehen und hat sich als einer der Ersten im Ausland beworben. „Damals hatte ich noch Adrenalin im Blut (delikanli)“, beschrieb er stolz seine eigene Jungend.
Wer kennt das Gefühl nicht? Der Traum, die Welt zu erkunden, zu reisen und am Ende der Reise sich im emotional verwurzelten, eng vertrauten „Sweet-Home“ wieder zu finden. „Nirgendwo ist es schöner als im eigenen Zuhause“, kennt man aus dem Volksmund. Im Märchen “Der Zauberer von Oz” hat der Satz sogar noch geheißen: “Es ist nirgends besser als Zuhause”. Trotzdem möchten wir es nicht missen zu verreisen, an ausgewählten Orten der Welt anderen Menschen zu begegnen, andere und andere Lebenseinstellungen kennenzulernen. Ich denke, insgeheim hat uns Jules Verne mit seiner vom englischen Gentleman Phileas Fogg, der „In 80 Tagen um die Welt“ reiste, immer schon begeistert. Der Traum, ach wie schön es doch wäre, in die unbeschwerte Rolle eines Weltenbummlers zu schlüpfen und dabei Abenteuer zu erleben, ist ein jedermanns Traum und spricht jedes Herz an. Oft muss ich beim Lesen dieser Geschichten an meinen enthusiastischen Opa denken.
Auch der im April 2012 von Jason Mraz veröffentlichte Song mit dem Titel „93 Million Miles“ erinnert mich an das Bild, das ich von meinem Opa in seiner Jugend habe. Der Text vom Song klingt sehr vertraut, weil er Teil unserer Träume ist und unsere innigsten Herzenswünsche reflektiert. Gleichwohl verführt die Melodie uns beim Hinhören in die Welt der Abenteuerlust. Beim genauen Hinhören ist sogar eine weitere herzergreifende Botschaft zu entnehmen. Mutter und Vater, die ihrem Sohn neben Lebensweisheiten die fürsorgliche „Sweet-Home-Message“ mit auf den Weg des Lebens geben:
Oh, my my how beautiful, oh my beautiful mother She told me, “Son in life you’re gonna go far, and if you do it right you’ll love where you are Just know, that wherever you go, you can always come back home”
Oh, my my how beautiful, oh my irrefutable father, He told me, “Son sometimes it may seem dark, but the absence of the light is a necessary part. Just know, you’re never alone, you can always come back home”
‘Zuhause ist ein Ort, an dem unsere Wurzeln liegen, wir unsere Kindheit verbracht haben und wir von Anbeginn unseres Lebens Geborgenheit empfinden und Fürsorge erfahren durften. Sei es nun elterliche, verwandtschaftliche, freundschaftliche Fürsorge oder lediglich die Fürsorge unserer Mitmenschen, die wir als Geborgenheit verspüren.‘ So in etwa klingen meine Worte, wenn ich zu diesem Thema in mein Herz horche und nach einer Definition für „Sweet-Home“ suche.
Eine allgemeingültige Definition zum Begriff „Sweet-Home“ wird es – so denke ich – allein schon deshalb nicht geben, weil mit diesem Begriff die Erfahrungen und die Empfindungen bei jedem einzelnen Menschen unterschiedlich ausfallen. Die einen würden aussagen, „Sweet-Home“ ist dort, wo die eigenen vier Wände, vertraute Familienmitglieder, vertraute Verwandte und vertraute Freunde sind. Andere wiederum würden aussagen, „Sweet-Home“ ist dort, wo die Eltern wohnen. Wiederum andere würden sagen, „Sweet-Home“ ist die Heimat der Eltern, weil dort jedermanns Wurzeln liegen. Die Antworten werden genauso verschieden sein, wie die Kombination der Wahrnehmung der oben genannten Merkmale.
Eines werden allerdings alle Antworten gemeinsam haben: „Sweet-Home“ bedeutet, Vertrautheit, Wohlgefühl, Empfindsamkeit, emotionale Nähe, ein Ort mit viel Verständnis und der Möglichkeit, sein zu dürfen, wie man ist und wie man sein will.
Auch ich habe dieses Gefühl schon vielfach erlebt. Sei es nun innerhalb meiner eigenen vier Wände, bei meinen Eltern, bei meinen Freunden oder beim Besuch meines geliebten Opas. Obwohl meine Eltern in diesem Kontext emotional hervorragen, ist erfahrungsgemäß auch mein Opa ein besonderes Bindeglied in dieser emotionalen Kette.
Meine Geschwister und ich fühlen uns mit meinem Opa aus unterschiedlichen Gründen eng verbunden. Neben meinen Eltern ist er der einzige Verwandte, der uns wegen ähnlicher Erfahrungen verstehen kann. Anknüpfend an unsere gemeinsamen Erfahrungen gab er uns immer das Gefühl, zu ihm zu gehören.
Als Gastarbeiter kam mein Opa Anfang der 60’ger Jahre nach Deutschland. Er blieb bis einschließlich 1973 und verließ noch im selben Jahr die Ferne – zurück in Richtung Heimat. Bei unseren Besuchen in Istanbul hat er gerne meinen Geschwistern und mir seine Erfahrungen aus seiner Zeit in Deutschland erzählt. Seine Erzählungen klangen wie die Abenteuer des Phileas Fogg, so als würde er wirklich aus dem Roman von Jules Verne zitieren. Beim Erzählen frischte er seine Deutschkenntnisse auf und gab uns zu verstehen, dass er uns nicht nur sprachlich verstehe, sondern auch unsere Erfahrungen nachempfinde. In all seinen Erzählungen hat er von seinem Aufenthalt im fernen Deutschland geschwärmt. Trotzdem empfand ich einen unausgesprochenen Unterton, ähnlich wie die fürsorgliche „Sweet-Home-Message“ aus dem Song „93 Million Miles“ von Jason Mraz:
just know, that wherever you go, you’re never alone, you can always come back home.
Mein Opa ist im Januar 2012 an den Folgen eines Autounfalls gestorben. Vor diesem Vorfall hab ich mich oft mit der Frage auseinander gesetzt, wo meine Wurzeln sind. Meine Antwort ist eindeutig: Mein Opa ist meine Wurzel! Bei ihm habe ich mich zuhause, geborgen und verstanden gefühlt.
Heute stelle ich mir die Frage, wo sind jetzt meine Wurzeln, mein Zuhause, der Ort, an dem mein Herz sich wohl fühlt. Mittlerweile weiß ich, dass mit Home ein Stückchen Erde gemeint ist, in die wir die Menschen, die wir lieben, begraben und in die die Menschen, die uns lieben, uns irgendwann einmal begraben werden. „Wir sind aus Erde erschaffen und zur Erde werden wir zurückkehren“, so in etwa könnte ich mein Empfinden zusammenfassen. Deshalb beschäftigt mich eine weitere Frage: Wo will ich selbst begraben werden? Will ich an jenem Ort begraben werden, an dem ich meine Kindheit verbracht habe? Will ich in der Stadt, in der ich wohne oder in der meine Eltern wohnen, begraben werden? Wedernoch!
Home ist dort, wo das Herz weiß hinzugehören, und das ist dort, wo ich meine Wurzeln begraben habe und selbst verwurzelt sein möchte. Home ist nicht zwangsläufig der Ort, an dem wir aufgewachsen sind. Home ist eine Empfindung!
Deshalb dürfen polemische Politiker, aus welcher Parteirichtung auch immer, uns deutschen Staatsbürgern mit nicht einen (angeblichen) Mangel an emotionaler Integration attestieren. Emotional vernetzt sind wir in der globalen Welt von heute schließlich in mehrfacher Hinsicht! Ganz nach dem Zitat von : „Hier bin ich Mensch, hier will ich sein“! Allerdings geht es in diesem Kontext um das menschliche Bedürfnis, folgende Frage selbstbestimmt beantworten zu dürfen: Mit wem bin ich herzlichst und emotional verwurzelt?! Diese Frage muss sich jeder Mensch selbst beantworten dürfen, ohne ein weiterer Opfer der demagogisch geführten zu werden!



Freitag, 20. April 2012

Wie Füße in den Socken

Sportunterricht in der Schule. Meine Freundin Shaima steht in der Schlange, um ihren Basketball in das Korb zu werfen. Hinter ihrem Rücken schleicht sich leise ihr Klassenkamerad Stefan heran, hebt vorsichtig ihr Kopftuch und kaum dass er einen Blick erhaschen kann, dreht sie sich um. Angstvoll schaut er sie an, böse schaut sie zurück. „Ich w… wollte nur “, stammelt er und ringt nach Worten, „w… wollte doch nur wissen, was darunter ist.“

„Haare“ reichen als Antwort auf die Frage nach dem mysteriösen Etwas unter dem Kopftuch nicht aus. Befriedigen nicht die Neugier der Außenstehenden. Denn wenn schon versteckt wird, dann muss da doch etwas sein. Etwas Fantastisches. Medusa-gleiche Schlangenhaare vielleicht oder eine tätowierte Glatze. Es sind jedenfalls auf keinen Fall Haare und wenn doch, dann zumindest keine normalen.
Legenden muss man füttern, beschlossen meine Schwester und ich. Zusammen verbreiteten wir deshalb zu Schulzeiten das Gerücht, dass unsere lockig-glatten Haare pink-grün gestreift gefärbt seien. Und wenn dann jemand tatsächlich mit großen Augen „wirklich?“ sagte, antworteten wir „Ja, wirklich!“.

Thomas, mein Sitznachbar, fragte mich irgendwann, was passieren würde, wenn er meine Haare sehen würde. „Dann musst du mich heiraten“, antwortete ich. Ich grinste. Kreidebleich drehte er sich zur Tafel.

Eine neue Form von Neugier

Einige Wochen später spielten die Jungen wieder Schwammschlacht in der Klasse. „Wusch“ machte es über meinem Kopf und der fliegende Schwamm zog mein Kopftuch nach hinten. „Ahh“, schrie ich und bückte mich, um meine Haare zu bedecken. „Ahh“, schrien die Jungen und hielten sich die Augen zu. „Ahh“, schrien meine Freundinnen und leisteten Sichtschutz, indem sie herbeirannten.

An der Uni bekam ich es dann mit einer neuen Form der Neugier zu tun. Sie war anders und merkwürdig. „Was“, fragte ein Kommilitone, nachdem ich ihm erklärte, dass ich zu Hause natürlich kein Kopftuch trage, „was, wenn ich eines Tages an eurem Haus vorbeikomme, durch den Garten laufe und zufällig durch das Fenster schaue und dich ohne Kopftuch sehe?“ Schockiert schaute ich ihn an. Dann lachte er und sagte: „Spaaß!“ „He, he“, sagte ich und bemühte mich um ein Grinsen.

Ich enttäusche ja nur ungern, aber unter dem Kopftuch sind wirklich nur Haare. Nichts Außergewöhnliches. Kopftuchtragende Frauen sind nicht hübscher oder hässlicher als andere Frauen. Sie färben sich die Haare, glätten sie und frisieren sie, wie alle anderen auch. Vielleicht sind einige ein bisschen mutiger, weil sie einen misslungenen Friseurbesuch gut unter dem Kopftuch verstecken können. Aber das wäre auch der einzige Grund für Neugier. Sonst erstreckt sich dort auch die gleiche Langeweile wie bei den Füßen in den Socken. Alles halb so wild, ganz normal halt. Kein Grund für besondere Fantasien.

Kurz vor Ende der Schulzeit schickte mir Thomas übrigens ein Bild. „So siehst du ohne Kopftuch aus“, schrieb er. Zu sehen war ein Bild von mir mit zackigen und abgehakten Paint-Strichen, die Haare darstellen sollten. Knallblonde, wohlgemerkt.

ein fremdwörterbuch

Mittwoch, 4. April 2012

Hizmet Hareketi'nde kadının konumu nedir?


Hizmet Hareketi'nde kadının konumu nedir?

Öncelikle, Hizmet Hareketi'nin dinamik, sınırları belirsiz (hatta sınırları olmayan) ve merkeziyetten yoksun özellikleri nedeniyle bu hareketi çerçevelendirmenin neredeyse imkansız bir çaba olduğunu vurgulamakta fayda var. Çerçevesi çizilemeyen ve tanımlanamayan bir olgu içerisinde kadının ya da erkeğin konumu nedir sorusunun genel geçer bir cevabı da yoktur. Ancak, Hizmet'in belirli bir kademesinde, belirli bir lokasyonda, kadınların konumunun ne olduğu sorulabilir ve bu soru yerinde gözlem metoduyla somut bir cevap bulabilir.
Hizmet Hareketi bünyesindeki kurumların farklı yaşam tarzlarına ve dünya görüşlerine duyulan saygı ve bu farklılıklara alan açma düşüncesi açıkça görülmektedir. Farklılıklara saygı duymak, bunları onaylamayı gerektirmediği gibi, bu farklılıklara saygı duyan kişi ya da kişilerin bunları kendi şahsi alanlarında uygulamalarını da gerektirmez. Mesela, farklı görüşleri bir araya getirmeyi amaçlayan bir organizasyonda kendi şahsi görüşünü dayatıp tesettürsüz kadınları dışlamak gibi bir tercihte bulunmaz, çünkü bu, düzenlediği etkinliğin ana fikrine aykırıdır.
Hizmet Hareketi içerisinde yer alan gönüllülerin, bulundukları ortam ve yaşam tecrübeleri ile şekillenen görüşleri, ortaya koydukları faaliyetlere de yansıyabilir. Dr. Jill Carrol, bu yerel farklılıkları şöyle gözlemlemiştir:
Benim gözlemim şu: Hareket kadın konusunda farklı şehirlerde farklı tepkiler gösterebiliyor. Sanıyorum yerel yöneticiler belirliyor bunu. Hareket de bu anlamda çok esnek. İrlanda'daki insanlar İrlanda'nın bağlamına adapte oluyorlar. Chicago'da Niagara Vakfı'nın toplantılarında podyumda kadınlar vardı. Oturumları onlar yönetiyorlardı. Bazıları örtülüydü, bazıları açık. Ama Houston'daki vakıfta daha ziyade erkeklere rastlarsınız. Orada katıldığım oturumlarda çoğunluk ben tek kadın olurdum ve çoğunluk bu beni kadın olduğumu unutmaya zorlardı. Demek ki yerine göre değişiyor. (KERİM BALCI - ZEYNEP YILMAZ Sayı: 813 / Tarih: 05-07-2010 AKSİYON)
Yine de Hizmet hareketi içerisindeki bütün kadınların bu sentezde aynı kıvamı yakalamış olması beklenemez, zira onlara formül şeklinde verilmiş bir sentez yoktur.
Başka bir açıdan bakılacak olursa, kadınların Hizmet hareketi içerisindeki görünürlüklerinin, hareketin faaliyet gösterdiği toplumun standartları ile paralellik arz ettiği, hatta Türkiye standartları dikkate alındığında hareket mensuplarının bu standartların üstüne çıkan bir bakış açısı geliştirdiği gözlemlenebilir. Faaliyetlerde aktif rol oynayan Hizmet'in kadın gönüllüleri, görünür olma adına değil, kendilerine hedef koydukları Allah rızasını kazanma adına dernekler ve sivil toplum platformları kurarak kamusal alana çıkmışlar ve dini hassasiyetlerini muhafaza etme kaygısı taşıyan kadınların kamusal alana girmesine öncülük etmişlerdir.
Hizmet hareketinin kadın meselesine dair çok detaylara inen ve kime hangi durumda nasıl tavır alacağını öğütleyen merkezi bir felsefe geliştirme gereği duymamış olmasının sebebi nihai hedef olarak Allah rızasını kazanmayı öğütlüyor olması ve bunu yaparken de cinsiyet temelli bir yaklaşım geliştirmemiş olmasıdır. Hizmet, kişilerin hür iradeleri ile her lokal anın ve durumun değerlendirmesini yaparak, ya da bir başka deyişle içinde bulunduğu toplumun, beslendiği geleneklerin, zamanın ruhunun ve küresel bakış açısının bir sentezini yaparak bu hedefe ulaştıracak eylemler geliştirme yolunu seçme yolunu açık bırakmaktadır.
"Hizmet'in kadına bakışı" gibi genel-geçer bir olgudan söz etmek mümkün olmamakla beraber, hareketin manevi önderliğini yapan Fethullah Gülen'in kadın meselesine bakışına dair belirli sonuçlara varılabilir. Gülen, bugüne kadar yaptığı pek çok konuşmada, yazdığı pek çok yazıda kadın-erkek meselesine ontolojik, dini, ve sosyolojik perspektiflerden yaklaşarak bu konudaki görüşlerini çok açık ve net bir biçimde ortaya koymuştur.
Ontolojik planda, yani kişinin Allah karşısındaki konumu, hak ve sorumlulukları bakımından kadın ve erkek arasında hiçbir fark olmadığı gerek gelenekçi, gerekse de modernist İslam alimleri tarafından ittifakla dile getirilen bir husus olagelmiştir. Bu bağlamda Gülen, Allah katında üstünlüğün ancak takva ile olduğu ayetinden hareketle kadın ya da erkek olmanın herhangi bir üstünlük vesilesi olmadığını net bir şekilde tekrar etmiştir. Varlık planında kadın ve erkek bir bütünün iki eşit yarımıdır, ve biri diğeri olmadan tamamiyete eremez:
İnsan olma yönüyle kadın ve erkek eşit yarımlardır; fakat, hiçbir zaman biri diğerinin aynı değildir. Bunların fıtratlarında, fizikî donanımlarında, ruh dünyalarında ve psikolojik yapılarında bir kısım farklılıklar mevcuttur; ama ne erkek kadının biyolojik olarak daha olgunlaşmış bir şeklidir, ne de kadın erkeğin az gelişmiş bir tipidir. İkisi de müstakil birer insandır ve bunlar birbirine muhtaçtır... İslam'a göre, kadın ve erkek arasında bir kısım farklılıklar bulunsa da, bunlar pek çok maslahat için planlanmış özel bir dizaynın neticesidir; fakat, aralarında ontolojik bir farklılık kat'iyen söz konusu değildir. (Kırık Testi, 02/07/2007)
Sosyolojik düzlemde ise Fethullah Gülen'in kadın-erkek meselesine yaklaşımı, rollerin farklılığı üzerine kurulmuştur ve bu rollerin farklılığı da büyük ölçüde bu iki cinsin fizyolojik yapılarındaki farklılıktan kaynaklanmaktadır. Bir başka deyişle, Müslüman kadınların kamusal alanda görünür olmasında dini anlamda hiçbir mahzur görülmezken, kadınlara fizyolojik kapasitelerini aşan erkek rollerinin yüklenmesi yasaklanmamakla birlikte tasvip de edilmemiştir.
Kadının kamusal alandaki aktifliğinde Gülen'in çizdiği dini çizgi, kadının dinini yaşayabilmesidir ve bu çizgi aşılmadığı sürece kadın her işi yapabilir. Kadını eve mahkum eden düşüncenin din değil kültür kaynaklı olduğunu beyan eden Hocaefendi, Asr-ı Saadet döneminden örnekler vererek, bugünkü toplumda bile yadırganan kamusal alandaki kadın görünürlüğünün o donemde son derece normal bir durum olduğunu ortaya koymuştur.
Kadının fiziki yanı dikkate alınıp, hususi durumları korunduktan sonra hayatın bazı sahalarına katkıda bulunması İslam'da yasaklanmamıştır. Zaten kadın, hayatın her diliminde kendine göre katkılarda bulunmuştur da... Mesela, savaşlara katılması caiz görülmüş, okuması, eğitim görmesi tasvip, tercih ve teşvik edilmişti. Öyle ki, saadet asrında Hz. Aişe, Hz. Hafsa ve Hz. Ümmü Seleme validelerimiz sahabe fukahasının (fıkıh bilginleri) ve müçtehitlerinin arasında yer almaktaydı; hatta peygamber hanesindeki kadınlar, dini öğrenme adına bir yönüyle erkeklerin bile müracaat kaynağıydılar.
Bu durum onlarla da sınırlı kalmamış, sonraki dönemlerde de bazı ehliyetli kadınlar pek çoklarına muallime olmaya devam etmişlerdir. Yani, Müslümanlıkta kadının hayatını kısıtlama ve hareket alanını daraltma söz konusu değil. Bugün için olumsuz görülen noktalar, yaşandığı dönemin şartları ve o zamanki devletlerin uygulamaları dikkate alınarak değerlendirilmelidir. (Fethullah Gülen'le 11 gün)

Kaynak: Fethulah Gülen Web Sitesi