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Dienstag, 14. Mai 2013

Die Mutter Analphabetin, die Kinder Anwälte und Architekten

Die Mutter Analphabetin, die Kinder Anwälte und Architekten

Das stille Heldentum der Gastarbeitermütter

 

Nicht wenige türkische Mütter, die als Teil der ersten Gastarbeitergenerationen nach Deutschland gekommen waren, konnten nicht einmal Lesen oder Schreiben. Ihren Kindern aber haben sie das vermittelt, was nötig ist, um Erfolg zu haben. (Foto: zaman)

Ich kann mich noch an jene Zeiten erinnern, in denen abends um 19:00 Uhr auf dem WDR-Sender „Radio Köln“ (Köln Radyosu) türkische Nachrichten gesendet wurden und meine Mutter diesem Radiosender regelmäßig lauschte.

Sie war eine Frau, die weder lesen noch schreiben konnte, aber am Weltgeschehen interessiert war und ihren Kindern in die Ohren flüsterte, sie sollen sich weiterbilden und an die Kinder denken, die nicht einmal die Möglichkeit hätten, eine Schule zu besuchen.

Sie lieferte uns genügend Beispiele aus ihrem eigenen Leben.

Aus dem Unterton ihrer Stimme konnten wir immer wieder hören, wie wichtig und wertvoll es ist, sich zu bilden. Dieser Frau ist es gelungen, ihren drei Töchtern neben der Aussteuer für das eigene Heim auch einen Abschluss der höheren Schulen in der fremden neuen Heimat zu ermöglichen und sie so aus ihrem Haus zu verabschieden.

Mütter sind die ersten Lehrerinnen im Leben ihrer Kinder

Neben dem Pausenbrot hatte sie uns jeden Morgen die Aufforderung mit in die Tasche gepackt, dass wir Respekt vor den Lehrkräften in der Schule haben sollten. Dieses hat meine Lehrerin immer gerne angenommen und mir als Zuwendung zurückgegeben.

Meine Mutter sagte mir immer: „Werfe dem, der Dir Steine wirft, ein Stück Brot zurück!“ Diesem Zitat zu folgen, bedeutete immer wieder, Verluste einstecken zu müssen. Manchmal mache ich ihr einen Vorwurf daraus, dass sie uns nicht gelehrt hat, auch mal einen Stein zurückzuwerfen.

Sie hat uns neben ihrer absoluten Liebe aber auch Werte vermittelt.

Sie und ihre Töchter waren keinesfalls Einzelfälle, denn ich könnte hier noch unzählige Beispiele von Müttern nennen, die weder die Sprache des fremden Landes beherrschten noch Lesen oder Schreiben konnten.

Es sind die Geschichten jener Mütter, die dieser Gesellschaft Individuen schenkten, die am Ende imstande waren, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere mitzudenken. Ihre eigenen Geschichten verbergen sich hinter einer Wand, sie wurden selten niedergeschrieben. Und soweit ich beobachte, ist das Interesse für ihre eigenen Geschichten kaum vorhanden. Hinter die Wand zu schauen, erfordert ein gewisses Maß an Interesse. Dieses Interesse ist nicht vorhanden oder nur in geringem Maße.

Aber wie könnte ich die Autorin meines Lebens außer Acht lassen? Oder all die der anderen? Die Mütter, die teilweise auf unseren Straßen erniedrigenden Blicken ausgeliefert sind. Die das Leben hinter der Bühne meistern. Die großen Künstler hinter der Bühne. Hinter den Kulissen haben sie ihre Kinder motiviert. Ihre Kinder auf dieses große Geschehen, das Leben, vorbereitet. Sie haben die Kinder, die ja unbestritten die Zukunft des Landes darstellen, mit Hoffnung und Liebe gefüllt. Sie haben damit indirekt auf unser aller Zukunft eingewirkt. Auf unsere gemeinsame Zukunft. Wir selbst aber interessieren uns eher für die, die sich öffentlich präsentieren und in Szene setzen. Popularität ist die Lenkerin unserer Interessen. Wir sehen populäre Themen als unsere Hauptaufgabengebiete.

Und deshalb bleiben die wirklich wichtigen Personen im Hintergrund. Das spricht aber lediglich umso mehr für die Einzigartigkeit und die Wichtigkeit dieser Menschen.

Die Mutter Analphabetin, die Kinder Anwälte und Architekten

Am Ende stehen die erfolgreichen Schüler auf der Bühne, doch die Mitwirkenden, in erster Linie deren Eltern, sitzen in den hinteren Reihen. Es sei denn, die Tochter oder der Sohn kommt auf die Idee, diese beim Namen zu nennen.

Einige Beispiele möchte ich hier nennen und auflisten, um zu zeigen, dass es sie wirklich gibt. Die, die wir gerne übersehen:

Hakan, ein Rechtsanwalt. Seine Mutter hat es in der Türkei bis zur Mittelschule geschafft. Zülal, eine Rechtsanwältin. Ihre Mutter hat es im Osten der Türkei bis zur Grundschule geschafft. Nezahat hat Germanistik und Sozialwissenschaften für das Lehramt in der Sekundarstufe II studiert. Ihre Mutter ist Analphabetin. Nebahat ist Bankkauffrau. Ihre Mutter ist ebenfalls Analphabetin. Kezban ist Gynäkologin. Sie überlässt die Behandlung ihrer Mutter ihren Kolleginnen in der Türkei. Auch ihre Mutter ist eine Analphabetin. Von der Frucht ihrer Arbeit hat sie selbst nicht profitieren können. Emine ist Architektin. Ihre Mutter lebt in ihrer 64 Quadratmeter großen Wohnung und hat sich immer noch kein Haus anschaffen können, da sie all ihre Kraft und ihr Hab und Gut in die Bildung ihrer Kinder - außer Emine noch dreier weiterer Kinder, die Rechtsanwältin, Ärztin und Ingenieur wurden - investierte.

Das sind Freunde, mit denen ich teilweise dieselbe Schulbank drückte und deren Mütter ich auf den Straßen begrüßen durfte; es sind die mir bekannten Gesichter und Geschichten. Es sind die, die zu Elternsprechtagen erschienen sind und sich nicht entschuldigen ließen, dass sie eh nichts verstünden.

Sie sind diejenigen, die die Erfolgsgeschichten ihrer eigenen Kinder einleiteten.

Sie sind die Mütter, die ihren Kindern zeigten, dass sie Teil der Veränderung sein können.

Sie sind die Mütter, die die Zukunft unseres Landes mitgestalten.

Auch heute und morgen werden sie das tun. Solange der Baum, den sie hier im fremden Lande pflanzten, Früchte trägt, solange ihre Kinder existieren, solange werden auch sie existieren. Auch wenn ihre Namen den anderen unbekannt sind und bleiben.

Wo Lehrer noch zu den meistgeachteten Berufsgruppen zählen

Das Gespräch mit meiner ehemaligen Deutschlehrerin, die heute Schulleiterin einer Gesamtschule ist, veranlasste mich, diesen Text zu verfassen. Sie war einst meine Lehrerin und ist heute meine Mutmacherin dahingehend, dass ich mich endlich auf mein Buch konzentrieren und die Geschichte des „Sprachlosen Kindes“ beenden solle. Sie, die mich lehrte, Lessing und seine Ringparabel zu lesen und die Kernaussagen der Ringparabel zu verinnerlichen. Vielleicht ist sie die Quelle der Liebe zur Literatur.

Eine Frage, die sie stellte, hat mich motiviert, diesen Text zu verfassen: „Wie geht es Deiner Mutter?“

Nach meiner Mutter, die Frau, die mir zeigte: „Es gibt Wege und Menschen, die auf Dich warten.“
Diese zwei Frauen, die ich hier erwähne, haben mich geprägt.

Sie sind miteinander verbunden. Denn meine Mutter hat mir immer geraten, meine Lehrer zu schätzen und ihnen dankbar zu sein. Ihre Worte waren: „Wenn ich damals im Dorf die Möglichkeit gehabt hätte, eine Schule zu besuchen, würde ich meinem Lehrer oder meiner Lehrerin täglich das Wasser aus dem Brunnen holen und ihr dienen. Die Arbeit, die Lehrer übernehmen, ist die wichtigste, die Menschen seit jeher übernommen haben. Sei achtsam, wenn Du mit ihnen sprichst.“

Sie hat mir die Achtung gegenüber anderen Menschen beigebracht und meine Lehrerin in der Schule mit Respekt zu behandeln.

Sie hat mich jeden Morgen verabschiedet und meine Lehrerin hat mich in der Schule empfangen. Sie hat mir den Weg gezeigt, meine Lehrerin hingegen brachte mir bei, wie die Wege zu gehen sind.

„Das Lernen ist ein ewiger Prozess. Wenn Du das Wissen beherrschst und nicht zulässt, dass das Wissen Dich beherrscht, wirst Du ein guter Mensch sein. Wenn Du anfängst, mit Deinem Wissen anzugeben, wird Dich Dein Wissen verlassen.“

Das ist der Schlüssel des Erfolges dieser schweigsamen Frauen, unserer Mütter. Sie haben mit wenig Material aus ihrer „Unwissenheit“ und ihren unwissenden Kindern heraus Wissenschaftler geschmiedet und dieser Gesellschaft geschenkt. Das wenige Wissen, das sie sich aneignen konnten, haben sie in die Praxis umgesetzt. Ohne zu erleben, dass die Arbeit ihre Früchte trägt, haben sie das Land oft mittlerweile wieder verlassen.

Sie sind, nachdem ihre Männer das Rentenalter erreicht hatten, in die alte Heimat zurückgegangen. Sie sind in der Hoffnung dort, etwas von ihrer Kindheit wiederzufinden. Sie suchen nach etwas von der Freude, die sie damals hinterließen.

Wir sollen ihre Geschichten erzählen

Die Beziehung zu dem Land, das sie einmal zur Heimat gemacht, haben, können und wollen sie nicht aufgeben. Denn uns, ihre Kinder, haben sie hier gelassen. Wenn wir sie auf unseren Straßen, meistens in der Winterzeit sehen, dann sollten wir wissen, dass sie endgültig nur Gäste bei uns sind. Sie überbrücken hier den Winter und werden kurz vor Beginn des Frühjahrs wieder gehen.
Endgültig sind sie auch zu Gästen in ihrer Heimat geworden.

Haben wir das Recht, uns über ihre unangepassten Äußerlichkeiten zu ärgern und ihnen Blicke von oben herab zu schicken? Haben sie nicht an der Gegenwart und an der Zukunft unseres Landes mitgewirkt? Können wir das abstreiten und meinen, sie hätten nichts getan?

Schon Goethe, der im deutschen Lande seinen Ursprung hat und nun der ganzen Welt gehört, sagte: „Aber wenn man sich ganz fühlt und still ist und die reinen Freuden der Liebe und Freundschaft genießt, dann ist durch eine besondere Sympathie jede unterbrochene Freundschaft, jede halb verschiedene Zärtlichkeit wieder auf einmal lebendig.“

Wie eine unterbrochene Freundschaft; ja so betrachten diese Frauen dieses Land, an dessen Zukunft ihre Kinder tüchtig arbeiten. Und wir? Wir sollten daran arbeiten, die Geschichten dieser Frauen zu verstehen. Dieser Frauen, die stets ohne Wort und Schrift ihre Geschichten verfassten.

Rana Argan mit Dankbarkeit an diese Mütter und an die eigene, noch bevor es zu spät ist.

Autoreninfo: Rana Argan ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Sie studiert Psychologie an der Fernuni Hagen und schreibt für's dib - Die Integrationsblogger.

Montag, 29. April 2013

Gülen über Geschlechterrollen im Islam

"Gott hat alles in Paaren erschaffen"
Die Gleichberechtigung der Frau im Islam lässt sich an bestimmten Aspekten wie die Gleichheit vor Gott und in dem Grund der Erschaffung beider Geschlechter festmachen. Wie widerspiegelt sich dieser Sachverhalt in den Aussagen Gülens? Was meint Fethullah Gülen, wenn er von „Unterschieden zwischen Frau und Mann" spricht, oder schreibt? Da diese Fragen nach einer Zusammenstellung von Zitaten und Stellungnahmen Gülens nicht ungeklärt bleiben, sollen diese unter die Lupe genommen werden.

Eindrücke aus dem Koran


Wenn es um die Grundlagen des Islams geht, werden Frauen und Männer im Koran gleichwertig nebeneinander angesprochen1. Aber wieso gibt es eine Sura im Koran, die mit der Überschrift „An-Nisa" deutlich macht, dass sie den Frauen gewidmet ist?2 Wieso gibt es keine Sura, die explizit die Männer anspricht oder in dem es um den Mann geht. Der Prophet Muhammed erwähnt in einem Hadith, dass das Achten der Mutter einen jeden ins Paradies bringen kann3. Bei diesem Hadith geht es nicht darum, die Frau zum Mutter-Werden zu motivieren. Es soll zum Achten der Mutter verleitet werden. Wieso werden Frau und Mann hierbei nicht „gleich" behandelt? Es gibt sicher Zitate des Propheten Muhammed, die auch das Achten der Väter empfehlen. Aber keines ist so schwergewichtig wie das über das Achten der Mutter. Liegt es daran, dass sie eine Frau ist? Wie erklärt Fethullah Gülen solche Punkte, die in der Thematisierung von Frau und Mann im Islam auffällig sind. Fethullah Gülen erwähnt neben den Gemeinsamkeiten und der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann auch „mögliche Unterschiede zwischen Mann und Frau"4.

„Gott hat alles in Paaren erschaffen"

 

„So sind Männer in der Regel physisch stärker und eher dazu in der Lage, Strapazen zu ertragen, während Frauen tiefere Gefühle haben: sie sind mitfühlender, zarter, aufopferungsvoller. [...] Allerdings dürfe [laut Gülen] aus solchen Unterschieden keine Rangordnung abgeleitet werden. Ebenfalls auf der Grundlage des Korans bestätigt Gülen, dass von den subatomaren Teilchen bis hin zu den Menschen, Gott alles in Paaren erschaffen hat, die eine Einheit bilden."5
Hier wird in der Koran-Exegese durch Gülen ersichtlich, dass in keinster Weise weder die Frau als Ursprung allen Übels gesehen, noch als „Derivat" des Mannes betrachtet. Das Gewicht „dieser Aussagen, die tatsächlich aus dem Koran abgeleitet sind, erschließt sich einem westlichen Publikum erst dann, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass in der jüdisch-christlichen Tradition Eva als Derivat Adams und als die Quelle allen Übels, als Anstifterin zum Sündenfall gilt."6 Wenn Gülen von Unterschieden zwischen Frau und Mann im Islam spricht, ist es in keinster Weise aristotelisch: „Aristoteles war der Auffassung, Frauen seien unvollkommene Männer, d.h. unvollständige Wesen, von Natur aus Gegenstand von Unterordnung".7
Gülen erklärt, was er meint, wenn er von Unterschieden zwischen Frau und Mann spricht: „Zwar unterscheiden sich Frauen in Körperbau und Psyche von den Männern; das bedeutet jedoch nicht, dass der eine dem anderen überlegen wäre. Stellen wir sie uns vielmehr wie den Sauerstoff und den Stickstoff in der Luft vor. Beide erfüllen bestimmte Aufgaben und sind in gleichem Maße aufeinander angewiesen. Männern an Frauen oder Frauen an Männern zu messen, ist genauso absurd, wie über die Substanzen in der Luft zu sagen: „Stickstoff ist wertvoller" oder „Sauerstoff ist wertvoller". Hinsichtlich ihrer Erschaffung und hinsichtlich der Aufgabe, die sie in dieser Welt zu erfüllen haben, gibt es zwischen Mann und Frau keinen Unterschied; in ihrem Aufeinander-angewiesen-Sein sind sie wie die beiden Seiten ein und derselben Medaille."8

Die Frau – „ein einzigartiger Diamant"

 

Gleich behandelt Gülen Frau und Mann in seinen Schriften zu Gunsten der Frau nicht. In allen Schriften und Predigen schreibt und spricht Fethullah Gülen über die Frau sehr achtsam und wertschätzend. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Frau als „einzigartiger Diamant", „ehrenhaft", „Blüte" oder „Edelstein" bezeichnet wird.9 Gülen schreibt: „Eine Frau, die in ihrer Innenwelt der Rechtschaffenheit eine große Bedeutung zumisst, ähnelt einem Kristallkronleuchter; in jedem Augenblick verbreitet sie ihr Licht im ganzen Haus. Die wichtigsten Kenntnisse, die sie besitzen sollte, liegen im Bereich der sozialen Erziehung." 10Aus diesem Auszug geht hervor, dass Gülen der Frau eine bestimmte Kompetenz zuschreibt: und zwar die der sozialen Kompetenz, aber er schließt andere Fähigkeiten keineswegs aus.

Fast 100 % aller Männer im Bau und Transport tätig11

 

Gülen beschränkt „die Aufgabe" der Frau nicht nur darauf, die soziale Erziehung zu übernehmen, aber misst die Übernahme dieser Aufgabe seitens der Frau oder der Frauen eine hohe Bedeutung zu. Das statistische Bundesamt gibt Folgendes bekannt: „Einen Frauenanteil von über 80 % wiesen die Gruppen der Gesundheitsdienstberufe und der sozialen Berufe auf. Hierzu zählen etwa Krankenschwestern, (...) sowie Erzieherinnen und Altenpflegerinnen."12 Genauso hält das statistische Bundesamt fest, dass besonders physisch anstrengende Berufe zu 99 % von Männern ausgeübt werden.13


Unterschiedliche Interessen

 

Es stellt sich die Frage, ob trotz jeder Mühe, die Geschlechter gleich zu stellen, sich die unterschiedlichen Geschlechter nicht aufgrund ihres Wesens sich für einen bestimmten Beruf entscheiden. Gülen geht es um das Aufzeigen von den Wesensunterschieden und körperlichen und psychischen Grenzen und Stärken der Frau und des Mannes. Dass Frau und Mann sowohl körperlich, als auch biologisch, wie auch psychisch ungleich sind, stehe außer Frage. Gleich sind Frau und Mann in ihrem Wesen nicht und somit können sie das auch in ihren Interessen im Detail nicht sein.14 So existiert jedoch keine Überlegenheit im Geschlecht, sondern es ist von einem Sich-Einander-Ergänzen die Rede15: „Es geht hierbei nicht darum, dass Frauen sich als Menschen zweiter Klasse fühlen sollen, aber auch nicht um die Gleichheit zwischen Frau und Mann."16 Wenn es um die Pflichten der Frau und des Mannes geht, sei keine Aufgabe „besserer" oder „niederer" Natur als die Aufgabe des Gegenübers. Gülen betont die Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann."17 So kann ein angenehmes Leben für beide Geschlechter gewährleistet werden, indem Aufgaben, die das Wesen ansprechen und auf das Geschlecht zugeschnitten sind, übernommen werden. Da braucht sich auch keiner zwangsweise in ein anderes Geschlecht hineinzuzwängen.

Frau – die Quelle der Barmherzigkeit

 

Es gibt viele Beispiele, an denen sich die unterschiedlichen Interessen erkennbar machen. Wenn Gülen von der Frau als „Quelle der Barmherzigkeit"18 spricht, dann nimmt er Bezug auf die wesentlichen Eigenschaften einer Frau: „Was ihre inneren Potenziale betrifft, so wurde die Frau als Inbegriff von Mitgefühl und Zuneigung erschaffen. Mitgefühl und Zuneigung gehören seit jeher zu ihrem Naturell und Wesen. Eine Frau mit einem reinen, durch keine äußeren Beeinträchtigungen verunreinigten Naturell denkt, spricht, sitzt und steht mit Mitgefühl und Zuneigung."19 Gülen betont, dass „vor ihrer Erschaffung (...) der Prophet Adam einsam [war], der Umwelt (...) jeder Geist [fehlte], der Mensch (...) zum Aussterben verurteilt [war]."20
An einer anderen Stelle sagt er, „Gott hat die Frau als die Partnerin des Mannes erschaffen. Adam konnte nicht ohne Eva sein und Eva nicht ohne Adam. Dieses erste Paar wurde mit der überaus wichtigen Pflicht betraut, als Spiegel und Deuter zu agieren, sowohl im Namen ihres Schöpfers als auch um der Schöpfung willen. Sie waren wie zwei Körper mit einer einzigen Seele und repräsentierten zwei Gesichter einer einzigen Wahrheit. Mit der Zeit jedoch hat primitives und grobschlächtiges Denken diese Balance zerstört; und gleichzeitig gerieten auch die Harmonie innerhalb der Familie und die Ordnung in der Gesellschaft in Unordnung." So sei es laut Gülen wichtig, dass eine Frau sich ihrer inneren Tiefe bewusst sei und die Grenzen ihrer Natur achte, damit die Harmonie und das Gleichgewicht innerhalb einer Gesellschaft nicht aus den Fugen gerät.21
Gülen betont, dass in denjenigen muslimischen Haushalten, in welchen die Frau scheinbar religiös begründet schlecht behandelt wird, es aus Unwissenheit über die Inhalte im Islam und aus traditionellem Verständnis von Geschlechterrollen geschieht.22
Wenn die Frau ihrem Wesen entsprechend gehandelt hätte, und ihr auch der Wert, den sie verdient, gegeben worden wäre, wären bisher etliche Eliten bisher herangewachsen.23

Frauen wie Hatica, Aisa oder Fatima

 

Die große Hoffnung, die Gülen schürt, sind Frauen, die im jetzigen Jahrhundert wie Hatica, Aisa, Fatima, Hafsa und etliche Heldinnen der islamischen Geschichte wirken und werken. „In der Frühzeit des Islam beispielsweise führte Aischa, die Frau des Propheten, ein Heer an. Außerdem fungierte sie als religiöse Gelehrte, deren Ansichten jedermann akzeptierte. Frauen beteten in den Moscheen mit den Männern gemeinsam. Selbst eine alte Frau konnte dem Kalifen in der Moschee in einer Rechtsfrage widersprechen. Noch im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts zollte die Frau eines britischen Botschafters den Frauen Anerkennung und rühmte voller Bewunderung ihre Bedeutung in Familie und Gesellschaft"24
Für Gülen ist das Potential, was Frauen in seinen Augen mitbringt, bemerkenswert, sodass er ein starkes Engagement von Frauen nicht wegdenken mag und es bedauert, wenn Frauen sich einschüchtern lassen. Dazu bemerkt Gülen in einem Interview mit Rainer Hermann, dass er mangelnde Partizipation von Frauen innerhalb der Gesellschaft bedauere.25 Dennoch weiß er diejenigen Frauen zu schätzen, die ehrenamtlich schon Kontinente wechselten, altruistisch unterwegs sind und ausgetrockneten Kehlen aus ihrer Quelle der Barmherzigkeit Wasser spenden.26

Gleichwertig aber nicht identisch

 

So kann zusammengefasst werden, dass Frauen anders als Männer, aber nicht weniger oder mehr effektiv als Männer werken und wirken. Sie ergänzen sich einander und weder der Mann ist effektiver als die Frau, noch die Frau besser als der Mann. In der Institution „Familie", das aus Vater, Mutter und Kind besteht, ist der Bezug, den ein Kind gegenüber seiner Mutter hat, ein ganz anderer, als der Bezug zum Vater. Dies hängt nicht zuletzt mit der Dauer der Schwangerschaft zusammen, in welcher die Mutter und das Kind ein Teil sind. Wenn in der kleinsten Institution der Gesellschaft „Familie" die Mutter vor allem dazu dient, dem Kind soziale Kompetenz weiterzugeben, und der Vater vor allem das Selbst- und Verantwortungsbewusstsein eines Kindes nicht unbedingt bewusst beeinflusst, dann ist daraus zu schließen, dass die Einflüsse von Frauen und Männern auch in größeren Gesellschaften als die der Familie unterschiedlicher Art sind.
Frau und Mann stehen also wie zwei Säulen der Gesellschaft, die unterschiedlich verziert sein können, aber die trotzdem beide nötig sein können, um das Gebäude aufrecht zu erhalten. Denn die Abwesenheit von einer der beiden Säulen würde das Einbrechen des Gebäudes bedeuten. So kann festgehalten werden, dass Frau und Mann gleichwertig sind, aber der Beitrag, den beide Geschlechter leisten kein gleicher ist.

Elif Soyer, Heidelberg
Quelle: GülenNEWS

[1] Vgl. Koran: 33:35 : Aus dem Arabischen von Max Henning. Istanbul 2002:
„Wahrlich, die muslimischen Männer und die muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen, die standhaften Männer und die geduldigen Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, die Almosen spendenden Männer, die Almosen spendenden Frauen, die fastenden Männer und die fastenden Frauen, die fasten, die ihre Keuschheit wahrenden Männer und die ihre Keuschheit wahrenden Frauen, die Allahs häufig gedenkenden Männer und die Allahs häufig gedenkenden Frauen - Allah hat für sie Vergebung und großen Lohn vorgesehen.“                                                                                         
[2] Vgl. Sura 4, „Die Frauen (an-Nisa)“.
[3] Vgl. Mehmet Gündem: Fethullah Gülen’le 11 Gün, S. 176. /
 Hadith zu finden bei: a) İbn Hanbel, V, 198 und b) (Nesâî, Cihad, 6).
[4] Hunt & Aslandogan 2012, S. 193.

[5] Hunt & Aslandogan 2012, S. 193 / Ünal & Williams 2000, S.138.
[6] Genesis 3,1; Tim 2,11-15 / Hunt & Aslandogan 2012, S. 193.
[7] Hunt & Aslandogan, S.194. / Vgl. Peters 1968.
[8] http://www.fragenandenislam.de/makale/die-frau-eine-quelle-der-barmherzigkeit

[9] Gülen, Perlen der Weisheit 2005, Mörfelden-Walldorf, fontäne-Verlag, S. 71f.
[10] Gülen, Perlen der Weisheit, S. 71.
[12]Statistisches Bundesamt, [Stand 21. April 2013].
[13]Statistisches Bundesamt, [Stand 21. April 2013].
[15] Vgl. Ertugrul Özkök: Hocaefendi Speaks, [Stand 22.4.2013].

[16]Mehmet Gündem: Fethullah Gülen’le 11 Gün. Istanbul 2005. S. 176.
[17] Mehmet Gündem: Fethullah Gülen’le 11 Gün. Istanbul 2005. S. 176.
[20] http://www.fragenandenislam.de/makale/die-frau-eine-quelle-der-barmherzigkeit Absatz 7 und http://tr.fgulen.com/content/view/694/3/ Absatz 7

[22] Vgl. http://tr.fgulen.com/content/view/13971/9/, 1. paragraf:
Bu iddia, şayet onu ortaya atanlar kasıtlı ve ön yargılı insanlar değillerse, Hak Din'in bu mevzuda vaz' ettiği ölçülerin bilinmemesinden ve tarih boyunca bilhassa âdetlerden gelen yanlış anlayış ve yanlış uygulamaların İslam'a mal edilmesinden kaynaklanmaktadır.”
[23] http://tr.fgulen.com/content/view/13971/9/ Absatz 35 : Vgl.: “Doğrusu, Devr-i Risalet Penâhî'de kadının hak ve sorumluluklarının tam belirlendiği, özellikle hasta olduğu hallerde ve hayız, nifas gibi hususi durumlarında ona kaldıramayacağı yüklerin yüklenmediği; fakat, onun çok defa savaşlara bile katıldığı, yaralılara baktığı, tedavi için gerekli malzemeleri hazırladığı, savaşçılara hizmet ettiği ve hatta bizzat savaştığı; normal zamanlarda da bilhassa …”
[24] Ertugrul Özkök: Hocaefendi Speaks
[25] Vgl. Rainer Hermann: „Islam und Moderne stehen nicht im Widersprich". 06.12.2012, FAZ
[26] http://tr.fgulen.com/content/view/13971/9/ dritter Absatz von unten

Dienstag, 16. April 2013

Hizmet-Stiftung in Deutschland auf dem Weg

Gülen-Bewegung: „Durch Transparenz Akzeptanz erhöhen“

Medien werfen der von Fethullah Gülen inspirierten Freiwilligenbewegung immer wieder mangelnde Transparenz vor, ohne deutlich zu machen, was man darunter versteht. Eine Stiftung soll nun helfen, offene Fragen zu klären. (Foto: zaman)

Die Hizmet-Bewegung möchte durch die Einrichtung einer Stiftung von sich aus einen wichtigen Schritt in Richtung Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit setzen. Diese soll nicht nur den Medien oder der Politik gegenüber eine nachvollziehbare Struktur bieten, sondern auch als Ansprechpartnerin für die Dialogvereine und Bildungsinitiativen darstellen, die sich Hizmet verbunden fühlen.

Ercan Karakoyun, geschäftsführender Vorsitzende des „Forum für interkulturellen Dialog e.V.“ (FID) in Berlin und DTJ-Kolumnist, koordiniert derzeit eine Arbeitsgruppe, um die Gründung der geplanten Stiftung von Hizmet in Deutschland vorzubereiten.

Dem DTJ gegenüber erklärt er, wie diese Stiftung helfen soll, Transparenz und Akzeptanz zu schaffen.

Warum soll eine Hizmet-Stiftung in Deutschland gegründet werden?

Wir engagieren uns in unzähligen Vereinen und Projekten auf lokaler Ebene für die Gesellschaft und übernehmen soziale Verantwortung in Deutschland. Unsere Arbeitsgemeinschaft möchte dazu beitragen, unsere Werte, Ideen und Aktivitäten noch besser zu kommunizieren, um so die gemeinsamen Ziele der unterschiedlichen Vereine und Projekte zu erreichen. Wir sind nach vielen Diskussionen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Stiftung uns dabei helfen kann. Mit der geplanten Stiftung wollen wir also Informationsarbeit über das Hizmet-Netzwerk leisten und damit durch die Schaffung von Transparenz die Akzeptanz für Hizmet in Deutschland weiter erhöhen.

Was wollen Sie mit der Stiftung erreichen?

Die Stiftung soll einerseits den Austausch der Engagierten innerhalb des Hizmet-Netzwerks fördern und andererseits helfen, den Dialog mit gesellschaftlichen Akteuren, Politik und Medien auszubauen. Die Stiftung wird allerdings nicht das offizielle Sprachrohr des Netzwerkes sein. Sie wird aber bei Bedarf als erster Ansprechpartner dienen und Kontakte zu Vereinen vermitteln, die sich mit der Idee von Hizmet verbunden fühlen und Teil der Stiftung sind. Die Stiftung möchte zudem lokale Projekte und Vereine vor Ort bei ihrer Arbeit in den Bereichen Bildung, Schule, Dialog, Medien und Wirtschaft unterstützen und ihnen ein deutlicheres Profil geben.

Wann soll es mit der Stiftung richtig losgehen? Und wer kann sich dort alles engagieren?

Derzeit befinden wir uns noch in den Vorbereitungen und haben dazu eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Das Engagement zur Gründung der Stiftung steht grundsätzlich Vereinen eben so offen wie Einzelpersonen - sie entscheiden, wie sie sich in der Arbeitsgemeinschaft einbringen wollen und können. Wir freuen uns über jeden, der uns durch Ideen und Engagement dabei hilft, die geplante Stiftung auf ein solides Fundament zu stellen.

Wie wird sich die geplante Stiftung finanzieren?

Wir sind derzeit auf der Suche nach Sponsoren, die uns mit Stiftungskapital unterstützen.

Wer ist bereits alles bei der Arbeitsgemeinschaft dabei?

Die Mitglieder in der Arbeitsgemeinschaft sind Menschen, die sich für Hizmet engagieren und von Fethullah Gülen inspiriert sind. Alle verbinden die Werte und Ideen von Hizmet. Die meisten der rund zwei Dutzend Mitglieder sind Vorstandsmitglieder der Dialogvereine oder von Vereinen aus dem Bildungs- und Schulbereich, es arbeiten aber auch Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medien mit.

Donnerstag, 4. April 2013

Gülen über Frauen und die Stellung der Frauen innerhalb der Bewegung

 

„Die Hälfte der Menschheit, die der anderen erst Sinn gibt"

Fethullah Gülen hat sich stets umfangreiche Gedanken darüber gemacht, wie sich die Gleichberechtigung der Frau im Islam auch in den Reihen der von ihm inspirierten Freiwilligenbewegung besser abbilden könnte.
Viele Angehörige, aber auch kritische Beobachter der Gülen-Bewegung, kennen die Aussagen des Gelehrten zum Thema Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Frau. Er betonte immer wieder, dass Frauen jene Hälfte der Menschheit wären, die der anderen erst einen Sinn gäbe.1 Lässt sich aber nicht dennoch eine ausgeprägte Passivität der Frauen innerhalb der Gülen-Bewegung beobachten? Wenn für Gülen Frau und Mann zwei Hälften eines Ganzen sind, wieso sind dann Männer in dieser „Bewegung der Freiwilligen und Ehrenamtlichen", wie sich die von Gülen inspirierte Bewegung nennt, dennoch aktiver als Frauen? Sind für Gülen Mann und Frau überhaupt gleich?
Um dieser Frage nachzugehen, sollen hier Auszüge aus unterschiedlichen Interviews, der empirischen Studie Helen Rose Ebaughs und Textstellen aus Gülens Werken zusammengefasst werden.
So bemerkt Gülen etwa in einem Interview, das Thema „Frauenrechte" wäre sehr umfangreich. Es falle ihm schwer, sich hierzu im gegebenen Rahmen kurz zu fassen und diesen nicht zu sprengen. „Einerseits machen wir heutzutage keinen Unterschied mehr zwischen Mann und Frau. Andererseits gibt es sowohl physische als auch psychische Unterschiede zwischen ihnen",2 so der Gelehrte.

„Frau und Mann ergänzen sich"

Wenn es bei Gülen um Mann und Frau geht, geht er auch von einem bestimmten Wesen dieser aus: „Meiner Meinung nach sollten Männer und Frauen wie zwei Seiten einer Wahrheit, zwei Seiten einer Medaille sein. Frauen sind ohne Männer nichts, und Männer sind ohne Frauen nichts; zusammen wurden sie erschaffen. Aus diesem Grunde wurde Adam eine Gefährtin zur Seite gestellt. Mann und Frau ergänzen einander"3, sind Worte Gülens, die es deutlich außer Frage stellen, inwiefern überhaupt Mann und Frau als ungleich zu betrachten wären.
Ein hoher Stellenwert wird von ihm hingegen der Gleichberechtigung und der Gleichwertigkeit zwischen Frau und Mann zugemessen. Dabei beruft er sich auf den Koran: „Kein Mann kann ohne Frau und keine Frau kann ohne Mann existieren, sie wurden gemeinsam geschaffen."4 Gülen betont, dass „in den Köpfen vieler Menschen, unter anderem auch jener selbst ernannter Verteidiger von Frauenrechten und vieler Männer, die sich als Muslime bezeichnen, Frauen Menschen zweiter Klasse sind. Für uns ist die Frau Teil eines Ganzen – eine Hälfte, die der anderen Hälfte erst einen Sinn gibt."5
Gülen glaube laut eigener Aussage in seinem Werk „Muhammad: Der Gesandte Gottes", dass die wahre Einheit eines Menschen immer dann zutage trete, wenn diese beiden Hälften zusammenfänden. Solange diese Einheit nicht existiere, würden auch „die Menschheit, die Prophetenschaft, der Stand der Heiligen, ja selbst der Islam nicht existieren."6

„In den Grundprinzipien des Islam gibt es keinen Unterschied zwischen Frau und Mann"

Auf die Frage des Journalisten Rainer Hermann von der F.A.Z., ob für Gülen Mann und Frau gleich seien, antwortet Gülen, dass die Frau im gleichen Maße wie der Mann eine freie und eigenständige Persönlichkeit sei. „Ihre Weiblichkeit hebt keine der Qualifikationen auf, die sie besitzt, verengt sie auch nicht. Wenn eine ihrer Rechte berührt wird, kann sie, wie die Männer, ihre Rechte einfordern. Besitzt sie, was jemand anderes hält, kann sie es zurückholen. Muslime unterschiedlicher Völker hatten ihren historischen Erfahrungsschatz mit dem Kleid des Islam gekleidet, sie präsentierten ihre Gewohnheiten und Traditionen, als gehörten sie zu den Grundlagen der Religion. In dieser Richtung gab es auch einige theologische Gutachten, Idschtihads. So wurden die Rechte der Frau veräußert, von Tag zu Tag wurde sie in einen immer engeren Bereich gedrängt und sie wurde, ohne zu erfassen, worauf das Ganze hinausläuft, in einigen Gebieten sogar ganz aus dem Leben ausgeschlossen. Einen Unterschied der Frau zum Mann gibt es bei keinem der Themen, die die Grundprinzipien des Islam betreffen – etwa bei der Glaubens- und Meinungsfreiheit, den Besitz- und Verbraucherrechten, der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Recht auf eine gerechte Behandlung vor dem Gesetz, dem Recht auf Heirat und der Gründung einer Familie, dem Recht auf Intimität und die Unantastbarkeit der Privatsphäre. Wie bei Männern stehen auch ihr Besitz, Leben und ihre Sexualität unter Schutz. Wer das verletzt, dem drohen schwere Strafen."7

„Frauen sind aus der Partizipation nicht wegzudenken!"

Was die Rollenzuschreibungen von Frau und Mann im Islam angeht, sieht Gülen keinen Grund, Frauen aus dem Engagement im sozialen Leben oder von der Teilhabe am politischen Leben wegzudenken: „In der sozialen Atmosphäre muslimischer Gesellschaften, die nicht von den Sitten unislamischer Traditionen ,verunreinigt' sind, nehmen die Frauen am alltäglichen Leben teil. In der Frühzeit des Islam beispielsweise führte Aischa, die Frau des Propheten, ein Heer an. Außerdem fungierte sie als religiöse Gelehrte, deren Ansichten jedermann akzeptierte. Frauen beteten in den Moscheen mit den Männern gemeinsam. Selbst eine alte Frau konnte dem Kalifen in der Moschee in einer Rechtsfrage widersprechen. Noch im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts zollte die Frau eines britischen Botschafters den Frauen Anerkennung und rühmte voller Bewunderung ihre Bedeutung in Familie und Gesellschaft"8, teilt Gülen mit.
Helen Rose Ebaugh, Professorin für Religionssoziologie und Erforschung der Weltreligionen an der University in Houston, die eine empirische Studie über die Gülen-Bewegung schrieb, nahm ihre Vorwürfe, Frauen stünden in dieser Bewegung eher im Hintergrund9, zurück, nachdem sie zur Vorstellung ihrer empirischen Studie über die Gülen-Bewegung durch Deutschland gereist war10. Und das, obwohl sich Gülen selbst immer noch nicht zufrieden zeigt mit dem Grad der Repräsentanz von Frauen in Entscheidungspositionen innerhalb der Bewegung. Er ermuntert in seinem Interview mit Rainer Hermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6.12.2012 Frauen zu noch mehr Teilhabe am sozialen Leben. Gülen bedauert die mangelnde Partizipation der Frauen innerhalb der Bewegung: „Auch wenn wir diesbezüglich im Vergleich zu früher enorme Wege zurückgelegt haben, ist die Partizipation der Frauen in der Gesellschaft und in der Bewegung nicht dort, wo sie sein müsste. Sie hat das gewünschte Niveau nicht erreicht."11

„Die Rolle der Frau ist nicht auf das Häusliche beschränkt"

Allgemein sagt Gülen, dass „die Rolle der Frau nicht auf die Beschäftigung zu Hause und auf das Großziehen der Kinder beschränkt ist. Die Frau im Islam gehört zu den Themen, die im Westen negativ und am häufigsten behandelt werden. Der Grund ist, dass die Muslime Dinge praktizieren, die den Grundwerten des Islam widersprechen. Einiges, was negativ erscheint, muss man im Zusammenhang mit den Bedingungen der jeweiligen Epochen und Staaten bewerten. Zudem herrschen in einigen Regionen und Gesellschaften weiter Gewohnheiten und Traditionen, die es vor dem Islam gegeben hat und die weitergeführt werden. Das dem Islam anzurechnen, ist nicht richtig. Für die islamische Religion ist es aber niemals zulässig, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und ihren Handlungsspielraum einzuschränken. Die Muslime missachten dies leider. Ein grobes Verständnis und ein plumpes Denken haben damit das System zerstört, welches auf der gegenseitigen Hilfe von Mann und Frau sowie auf dem gemeinsamen Teilen aufgebaut war. Mit dieser Zerstörung wurden auch der Familienfrieden und die gesellschaftliche Ordnung zerstört."12
Insgesamt bedauert es Gülen, dass Frauen „nur allzu oft als Objekte der Begierde, als Mittel zur Unterhaltung oder als Werbematerial missbraucht werden." 13Aber laut Gülen bergen selbst solche Phasen der Dunkelheit auch Aussichten auf Wendepunkte in sich, die den Frauen helfen würden, sich zu erneuern und ihr wahres Wesen zu erkennen: „Ähnlich den Tagen, die auf Nächte folgen"14 – so die den Frauen Hoffnung gebenden Worte Gülens.

Elif Soyer, Heidelberg

Quelle: GülenNews
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1- Gülen: The Messenger of God, Muhammad: An analysis of the Prophet's life. Übersetzung von Ali Ünal: Muhammad: Der Gesandte Gottes, New Jersey 2005, S. 162.
2- Ertugrul Özkök: Hocaefendi Speaks; übersetzt aus: Hürriyet, 23.-30.01.1995
http://www.dialog-berlin.de/Von-Fethullah-G%C3%BClen/guelen-ueber-frauen-und-frauenrechte-im-interview-fuer-huerriyet.html [Stand: 14.03.2013]
3- Ertugrul Özkök: Hocaefendi Speaks;
4- Vgl. Robert A. Hunt, Yüksel A. Aslandogan: Unsere Mitbürger. Muslime in der Postmoderne. Frankfurt am Main 2012. S.
5- Gülen: The Messenger of God, Muhammad. S. 162 und vgl. Hunt; Aslandogan: Mitbürger. S. 192f.
6- Vgl. Hunt; Aslandogan: Mitbürger. S.193.
7- Vgl. Rainer Hermann: Prediger Fethullah Gülen im F.A.Z.-Gespräch. „Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch". Reportage vom 06.Dezember 2012: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/prediger-fethullah-guelen-im-f-a-z-gespraech-islam-und-moderne-stehen-nicht-im-widerspruch-11983556.html, [Stand: 31.März 2013]
8- Ertugrul Özkök: Hocaefendi Speaks
9- Vgl. Helen Rose Ebaugh: Die Gülen-Bewegung. Eine empirische Studie. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2012, S. 217f.
10- Vgl. Elif Soyer: Lob an die Gülen-Bewegung, Mannheim, 31.März 2012. http://elifsoyer.blogspot.de/2012/03/berichtikus.html, [Stand 31.März 2013].
11- Vgl. Rainer Hermann: „Islam und Moderne stehen nicht im Widersprich".
12- Vgl. Rainer Hermann: Prediger Fethullah Gülen im F.A.Z.-Gespräch. „Islam und Moderne stehen nicht im Widersprich". Reportage vom 06.Dezember 2012.
13- Gülen: Perlen der Weisheit. Mörfelden-Walldorf. 2005. S. 71.
14- Gülen: Perlen der Weisheit. S. 71f.

Dienstag, 19. März 2013

"Unsere Religion ist Privatsache"

Von 
Es gibt keine organisierte Kette von Wohngruppen, sagt Vereinsvorsitzender Eyüp Besir. Foto: Arnold

Eyüp Besir ist Vorsitzender des Forums für Interkulturellen Dialog (FID) in Frankfurt, der zur konservativen islamischen Gülen-Bewegung gehört. Im Interview spricht Besir über fromme Studenten-WGs, falsche Ängste türkischer Eltern und die Freiheit, zu leben wie man will.

Herr Besir, warum verstecken Gülen nahe Gruppen so viel von sich vor der Öffentlichkeit?

Das behaupten Sie, ich kann das so nicht bestätigen. Ich bin als Vorsitzender des Forums für Interkulturellen Dialog (FID) in sehr vielen öffentlichen Veranstaltungen, ich gebe Interviews.
Viele der Gülen-Bewegung nahestehende Bildungs- und Nachhilfevereine, wie in Frankfurt das Avicenna-Institut, geben auf ihrer Homepage keinerlei Hinweis auf einen islamischen Hintergrund und eine Nähe zur Gülen-Bewegung. Der Avicenna-Vorsitzende sagt aber sehr wohl, dass er Gülen nahestehe. Warum legt der Verein den Zusammenhang nicht offen?
Ich kann nicht für das Avicenna-Institut sprechen. Ich möchte aber kurz etwas erläutern. Was Sie als Gülen-Bewegung bezeichnen, nennen wir selbst „Hizmet“, Dienst an der Gesellschaft. Die Hizmet-Bewegung ist ein loses Netzwerk von Menschen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und sich engagieren, etwa durch Bildung oder Dialog. Die Offenlegung der religiösen Hintergründe spielt bei der Projektarbeit keine Rolle.

Das gilt auch für Bildungsvereine, die Nachhilfe oder Integrationskurse geben?

Richtig.

Welche Gülen-Ideen sind für Sie die wichtigsten?

Das sind die universellen Werte wie Fethullah Gülen sie vertritt: Freiheiten, demokratische Rechte und Werte, Gleichstellung von Mann und Frau, Akzeptanz des anderen in seiner Eigenart, Achtung vor dem Rechtsstaat und dem Gesetz.

Den Islam haben Sie jetzt nicht genannt.

Nicht alle Menschen in der Bewegung sind Muslime, nicht alle Muslime bei Hizmet sind von Gülen inspiriert. Dieses lose Netzwerk ist momentan sehr heterogen.

Wie ist es für Sie und den Verein FID?

Für mich ist die Religion wichtig. Ich hab die Schriften von Gülen Mitte der 90er zu Beginn meiner Studienzeit gelesen, darüber bin ich erst auf meine soziale Verantwortung aufmerksam geworden: nicht nur für mich und meine Familie, sondern auch für die Gesellschaft. Danach habe ich dann angefangen zu studieren. Die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie war für mich sehr wichtig.

Sie kennen Fethullah Gülen persönlich. Sind Sie regelmäßig bei ihm in den USA?

Nein. Ich war ein paar Mal bei ihm zu Besuch.

Er ist, sagen Sie, der Ideengeber für den FID. Gibt er Anweisungen?

Fethullah Gülen ist Ehrenvorsitzender des FID Frankfurt. Unser Gründungsvorsitzender Abdullah Aymaz war vor Jahrzehnten selbst Schüler von Gülen in der Türkei. Ich kannte Gülen nur durch seine Schriften und durch Personen wie Aymaz. Falls es notwendig ist, können wir ihn um Rat fragen. Er ist eine Respektsperson für uns, aber er gibt keine Anweisungen.

Sie gelten, neben Ercan Karakoyun aus Berlin, als führende Figur im deutschen Gülen-Netzwerk.

Das würde ich so nicht sagen. Ich bin der Vorsitzende von FID Frankfurt und Karakoyun der von FID Berlin, darüber hinaus haben wir keine weitere Funktion.

Ihr Verein FID hat in Bockenheim dieselbe Adresse wie das Avicenna-Institut. Arbeiten Sie zusammen?

Wir sind im selben Haus. Es gibt natürlich persönliche Kontakte. Es gibt auch gemeinsame Projekte.

Nach unseren Recherchen standen Personen aus dem Avicenna-Institut im Hintergrund bei der Anmietung einer Wohnung in Griesheim für eine Wohngemeinschaft muslimischer Studentinnen. Warum spricht Avicenna nicht offen darüber?

Das müssen Sie Avicenna fragen. Von dieser Wohngemeinschaft habe ich erstmals durch Ihre Berichterstattung erfahren.

Allgemeiner gefragt: Uns liegen Berichte mehrerer junger Leute vor, die in solchen Bildungsvereinen gejobbt oder als Studenten Anwerbeversuche erlebt haben von Anhängern Fethullah Gülens. Sie berichten uns übereinstimmend, dass durch die Hintertür eine religiöse Agenda auftauchte: Kinder hätten nach der Mathe-Nachhilfe noch einen religiösen Film angucken müssen, nach Einladungen zum Essen lagen Gülen-Schriften auf dem Tisch. Schadet das nicht dem Ansehen der Hizmet-Bewegung?

Ich kenne diese Fälle nicht. Aber innerhalb der Ideen Gülens ist die Religionsfreiheit ein wichtiger Wert. Deshalb kann jeder selbst entscheiden, wie er denkt, lebt und glaubt.

Sprechen wir über „Lichthäuser“. Wie viele dieser Wohngruppen kennen Sie in Frankfurt?

Gülen hat das Wort „Lichthaus“ nur in den 60ern mal verwendet bei der Auslegung eines Koranverses. Er und vor ihm Said Nursi (islamischer Gelehrter, d. Red.) sagen, dass der größte Feind einer Gesellschaft Unwissenheit ist. Sie müsse überall bekämpft werden, auch zu Hause, in der Wohnung. Die wird so zur Stätte gemeinsamen Lernens, gegenseitiger Aufklärung. Den Namen „Lichthaus“ für hiesige Wohngruppen haben andere eingeführt.

Gemeint sind Wohngruppen, wo eine Unterweisung in der Gülen-Lehre stattfinden und ein strenger Tagesablauf herrschen soll. Gibt es so etwas in Frankfurt?

Es gibt keine organisierte Kette von Lichthäusern. Es gibt aber Studenten, die die Ideen Gülens wertschätzen und gemeinsame WGs aufbauen, wie andere Studenten auch. Wie viele Studenten so wohnen, weiß ich nicht. Aber in einer Stadt wie Frankfurt mit sehr vielen Fakultäten und vielen türkischstämmigen muslimischen Studenten ist es möglich, dass sie sich so zusammentun.

In diesen Wohngruppen finden Sohbets statt, regelmäßige religiöse Unterweisungsstunden…
Diese Übersetzung ist irreführend. Sohbet heißt einfach Gespräch, Austausch. In diesem Sinn ist auch dieses Interview ein Sohbet. Von religiöser Unterweisung kann keine Rede sein.

Mir fällt auf, dass Sie immer dann relativieren, wenn wir auf religiöse Bezüge bei Hizmet-Aktivitäten zu sprechen kommen. Warum?

Für mich als Deutschen ist Religion Privatsache. Deshalb sollte man auch Studenten oder Vereinsmitglieder nicht dafür kritisieren, dass sie ihre religiöse Sichtweise privat halten.

Aussteiger aus den Wohngruppen berichten, dass das Leben dort stark kontrolliert wird, ein autoritärer Umgang herrscht, die Freiheit der Bewohner eingeschränkt ist – etwa, dass keine Handys benutzt werden durften. Wäre es nicht in Ihrem Interesse, offensiver öffentlich zu machen: Wir sind einfach nur religiös, wir tun nichts Schlimmes?

Wie gesagt: Zu den Ideen Gülens gehört das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Wenn Entrechtungen von Menschen in Wohngruppen stattfinden sollten, müssen diese öffentlich werden und, wenn nötig, von der Justiz geahndet werden. Dazu müssen diese Personen offen hervortreten. Sie sollen öffentlich sagen, da und da passiert das, dann kann man das überprüfen.
"Pauschale Bewertung ist nicht akzeptabel"

Wir haben auch Aussagen von Eltern, die ihre Töchter bewusst in Gülen nahe Bildungsvereine schicken. Denn dort würden die Mädchen so erzogen, „dass sie nicht so werden wie deutsche Mädchen“. Was ist so schlimm an deutschen Mädchen?

Nichts. Ich bin deutscher Staatsbürger, ich bin hier heimisch. Meine Eltern sind türkischstämmige Gastarbeiter, die in den 70er Jahren herkamen. Ich habe nur einen Pass, den deutschen, meine Kinder auch. Ich akzeptiere diese meine Gesellschaft mit allen, die zu ihr gehören, den deutschen Jungs und Mädchen, den nichtdeutschen. Eine pauschale Bewertung einer Ethnie als gut oder schlecht ist nicht akzeptabel.

Die Elternäußerung ist aber kein Einzelfall. Immer klingt mit: „Die Welt da draußen ist schlecht, in der Hizmet ist sie gut.“ Passt das zu Ihrem Anspruch, für Integration, Demokratie und Multikulturalität zu arbeiten?

Nein, das passt nicht. Wir als FID machen demnächst zum Beispiel eine Ausstellung in Wiesbaden in Zusammenarbeit mit der dortigen jüdischen Gemeinde. Die Ausstellung zeigt das 500-jährige jüdische Leben zur osmanischen Zeit. Wir wollen zeigen, dass es ein gelungenes Zusammenleben in der Vergangenheit gab und dass das auch heute möglich ist. Wir arbeiten auch mit der katholischen Akademie in Frankfurt zusammen, mit der ökumenischen Kontaktstelle der evangelischen Kirche, mit den Fakultäten.

Ärgert es Sie da nicht, wenn andere Institutionen, die sich auch zur Hizmet zählen, in einer anderen Richtung arbeiten?

Die Frage ist, ob es das so gibt.

Offenbar, wie die Elternäußerungen zeigen.

Wer diese Gesellschaft in Gut und Schlecht einteilt, ist hier nicht angekommen. Aber ich kenne die Leute nicht, ich weiß nicht, ob sie überhaupt Gülen lesen.

Kritiker bemängeln auch, dass die in Gülen-Wohngruppen praktizierte Geschlechtertrennung nicht zeitgemäß sei. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Wer im privaten Raum aus religiöser Überzeugung in Geschlechtertrennung leben will, hat das Recht dazu, das gilt nicht nur für Muslime, auch für Christen. Es gibt ja auch Privatschulen, die reine Knaben- oder Mädchenschulen sind. Aber strikte Geschlechtertrennung in allen Lebensbereichen ist nicht richtig.

Quelle: Frankfurter Rundschau





Dienstag, 12. Februar 2013

Ungenutzte Potentiale der „Menschen mit Migrationshintergrund“- Notwendigkeit von Diversitymaßnahmen

Alev Dudek Ungenutzte Potentiale der „Menschen mit Migrationshintergrund“  Notwendigkeit von Diversitymaßnahmen In Deutschland wird hochwertiges Potenzial verschwendet. Anstatt Wege zu finden, das Potential das vorhanden ist, auszuschöpfen, beklagt man sich über angebliche „Mängel“.
Das Potenzial, das oft ungenützt bleibt, gehört, unter anderem, den „Menschen mit Migrationshintergrund“. Sie besitzen oft hochkarätige kognitive Fähigkeiten, die sie durch das Ausgesetzsein zu unterschiedliche Kulturen, Herangehensweisen und Sprachen entwickelt haben. Sie haben wissenschaftliche, technische und künstlerische Vorteile, die unbeachtet bleiben. Sie machen einen enormen Anteil vom Talent in Deutschland aus.
Sie können sich in unterschiedliche Perspektiven hineinversetzen und vereinen oft das „Beste“ aus mehreren Kulturen in sich. Viele „Menschen mit Migrationshintergrund“ sind starke Persönlichkeiten mit wichtigen Erfahrungen und Erkenntnissen. Sie haben trotz Stereotypisierung, Vorurteile, Diskriminierung, Klassenunterschiede und fehlende Rollenmodelle, ein respektables Leben für sich aufgebaut. Ihre Potenziale haben sie aber selten ausleben können. Durch den tiefverwurzelten Wunsch zur Assimilation und dem Ethnozentrismus in Deutschland bleiben ihre Talente oft nicht nur ungenützt, sondern werden sogar oft aktiv unterdrückt. Ungenutzte Potenziale sind nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht ein Problem, sondern auch auf menschlicher Ebene.
Was macht man eigentlich mit so viel Potenzial? Wie setzt man es ein?
In Deutschland brauchen wir eine kulturelle Öffnung für Diversity, unter der Motto: „anders ist gut“. Anstatt zu erwarten, dass Menschen sich anpassen, sollten sie ermutigt werden, mehr sie selbst, eben „anders“ zu sein. Denn dann kommen Potenziale zum Vorschein, die sonst nicht sichtbar geworden wären. Durch diese Art von Förderung von Diversität gewinnt nicht nur das Individuum, sondern auch die Gesellschaft dazu.
Neben der Ermutigung anders zu sein, sind Maßnahmen zur aktiven Diversity-Etablierung ein wichtiger nächster Schritt zur Ausschöpfung von Potenzialen. In diesem Zusammenhang, haben viele Organisationen in Deutschland die Signifikanz von Diversity Management erkannt und investieren in Bemühungen in dieser Richtung.
Diversity Management nur für Frauen?
Es gibt aber leider eine alarmierende Konfusion darüber, wie Diversitywertschöpfung stattfinden soll. Laut einer Studie von Roland Berger Strategy Consultants, „fokussieren 80% der befragten Firmen ausschließlich auf Frauenförderung“. Frauenförderung ist natürlich ein Schlüsselelement von Diversity Management, aber Diversity Management darf auf keinen Fall auf einen einzigen Aspekt von Diversity begrenzt werden. Zumindest nicht, wenn sie effektiv sein soll und wenn man eine Organisation damit vorwärts bringen will.
Viele Firmen beschränken ihre Diversitybemühungen auf die Etablierung von Gender-Diversity, weil ethnische Diversity angeblich ein „kontroverses“ Thema sein soll. Es ist die Aufgabe der Diversity Experten, Klarifikation in dieser Hinsicht zu schaffen; dass ohne ethnische Diversity kein effektives Diversity Management per se, stattfinden kann.
Diversity Management – nicht verstanden?
Es ist verständlich, dass für viele Firmen in Deutschland Diversity Management ein neues „Gebiet“ ist, in dem sich die „regulären Mitarbeiter“ nicht sehr gut auskennen. Deshalb rekrutieren sie Diversity Experten und müssen sich auf diese Experten verlassen. Wenn Diversity Experten aber ethnische Diversity nicht ansprechen, weil es zu „kontrovers“ ist, dann findet in der jeweiligen Firma kein effektives Diversity Management statt. Die Verlierer sind in diesem Fall die Firmen, die Gelder für solche Arten von Diversity Management ausgeben.
Die Realität ist, dass ethnische Diversität ein Umdenken erfordert und mehr Arbeit bedeutet. Nicht alle Diversity Experten haben die Qualifikationen, um ein Umdenken in dieser Hinsicht zu gestalten. Viele wollen sich die Arbeit auch nicht machen, solange sie von dem Verkauf ihrer limitierten Diversity Management Strategien leben können.
Zum Schluss soll noch einmal betont werden, dass es an Potential und Talent in Deutschland nicht fehlt. Was fehlt, ist eine grundsätzliche Kultur von Wertschätzung für Unterschiede.
Natürlich haben wir eine Wahl: Wir können entweder weiterhin so verfahren wie wir es „schon immer gemacht haben“, oder uns für Veränderungen öffnen und Wege finden, aus der immensen Diversität, die wir in Deutschland haben, Wert zu schöpfen.
Unabhängig davon, wie und wann wir uns entscheiden, sind Arbeitgeber in anderen Ländern aktiv damit beschäftigt, Top-Talente für sich zu gewinnen; auch die, die zurzeit unter uns leben.
Vielfältige Teams effektiver?
Je gebildeter und talentierter die Personen sind, die rekrutiert werden sollen, desto höher sind ihre Diversity-Ansprüche. Diesen Personen genügt es nicht, dass man ausschließlich ihre Talente zu schätzen weiß. Denn solche Menschen ziehen es verständlicherweise vor, in diversen Teams zu arbeiten. Sie wissen, dass vielfältige Teams am kreativsten und deshalb zu Höchstleistungen fähig sind. Für deutsche Firmen bedeutet, dass sie ihre Teams neu strukturieren und Diversity so gut wie möglich über die ganze Organisation verteilen müssen.
Wenn deutsche Arbeitgeber die „Besten“ für sich gewinnen und behalten wollen, müssen sie Diversität in Zukunft sehr ernst nehmen. Ratsam wäre, in dieser Hinsicht, zuerst das Potential was sich in Deutschland befindet, kreativ auszuschöpfen.

Text: Alev Dudek.

Samstag, 26. Januar 2013

Der nackte Zwang

Feminismus und Kopftuchdebatte

 

Von wegen Befreiung: Warum Highheels noch lange kein Zeichen für Emanzipation sind und das Kopftuch nicht unbedingt die Unterdrückung der Frau bedeutet.  

 
Von Ingrid Thurner
Die einen sind fast nackt, die anderen fast gänzlich bedeckt. Aber nur der verhüllte Körper erhitzt die Gemüter und die Debatten, der unbekleidete ist uns keine öffentliche Erregung wert.



Schleier statt Minirock: In der Wüste von Abu Dhabi beugen sich selbst die angeblich so emanzipierten Damen aus Sex and the City den Landessitten. Auf ihrem ureigenen Terrain New York gehören sie eher zu einer Spezies, die sich mit Vorliebe halbnackt zeigt.

(Foto: Verleih)
Als die muslimische Frau in der Öffentlichkeit sichtbar wurde, verwandelte sie sich in ein Problem. Sichtbar ist sie erst, seit sie begonnen hat, ihren Körper zu verstecken und damit selbstbewusst aufzutreten. Das tut sie nun seit einigen Jahren. Vorher verursachte sie keine Aufregung, keine Schlagzeilen und kein Engagement.

Dabei erschwert ihr diese Aufmachung Leben und Alltag beträchtlich. In den Arbeitsämtern gelten Kopftuchträgerinnen als schwer vermittelbar. In der U-Bahn und im Park sind sie Anfeindungen ausgesetzt, im Kino und im Supermarkt erklären ihnen wildfremde Personen, diese Kleidung sei unpraktisch, gar unhygienisch. Gleichzeitig hält man sie für dumm. Man redet in ihrer Gegenwart über sie, als ob sie nicht da wären und als ob sie nicht verstünden, was man über sie sagt. Wollen sie also eine Arbeit finden oder auch nur in Ruhe gelassen werden, tun sie gut daran, ihre Körperinszenierung den ortsüblichen Gepflogenheiten anzupassen. Dann gelten sie als gut integriert. Genau genommen unterliegen Musliminnen hierzulande dem Zwang, das Kopftuch nicht zu tragen.


Die paternalistische Befreiung

Alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen sind angetreten, in paternalistischer Manier muslimische Frauen aus ihrer Unterdrückung und ihrer Verhüllung freizukämpfen: Rechtspopulistische Politiker, Boulevardblätter, Feministinnen, Sozialdemokratinnen, erzkonservative Katholiken, Ex-Muslime. Es eint sie der Glaube, Musliminnen seien unterjocht von ihrer Religion und von ihren Männern. Sie sind sich auch darin einig, die Kopfbedeckung nicht deswegen abzulehnen, weil sie ein religiöses Symbol sei. Die weibliche Verhüllung wird vorgeblich verdammt, weil sie ein Instrument der Unterdrückung der Frau sei.
Fast wäre man versucht, den Umkehrschluss zu ziehen und weibliche Nacktheit als Symbol weiblicher Freiheit zu deuten. Aber welchen Zwängen unterwerfen sich nicht konform-westlich denkende Frauen für den Auftritt in der Öffentlichkeit? Hohe Absätze, hautenge Jeans, frieren in der Kälte, ein Leben lang hungern, alles um den Körper vorzeigbar zu machen, dazu ständige Kontrolle, ob die Haarsträhnen richtig liegen, ob der Busen richtig steht, ob die Träger sitzen.
Aber der Muslimin, die Körper- und Haarpracht unter wallenden Gewändern verborgen hält, wird unterstellt, sie sei unfrei. Dass es immer mehr Musliminnen gibt, die öffentlich dazu stehen, dass sie ihr Kopftuch gern und freiwillig tragen und dies gar nicht so selten gegen den Willen von Vätern, Brüdern, Ehemännern, Söhnen, wird überhört.

Es lebe die Aufklärung

Wir sind so stolz auf die Aufklärung, und dem Islam wird vorgeworfen, dass er keinen Voltaire hervorgebracht habe. Doch wer die verhüllten Körper aus den öffentlichen Räumen verbannt sehen will, kann sich nicht auf die Aufklärung berufen. Säkularisierung bedeutet nun einmal die Autonomie des Individuums, das Recht der freien Entscheidung. Was die einen dem männlichen Blick vorenthalten, drängen die anderen ihm auf.
Da werden Leiber für die Öffentlichkeit entblößt, laufen nur mit ein paar Stoffstreifen herum, die die wesentlichen Körperteile weniger verhüllen als zur Schau stellen. Wichtig ist, dass die knappen Winzigkeiten klangvolle Erzeugernamen tragen und zu überhöhten Preisen erworben werden. Damit demonstrieren junge Frauen, wie frei und selbstbestimmt sie agieren. Keine Männer zwingen ihnen Kleidungsstücke auf. Das mag sein. Sie dürfen gerne halbnackt herumlaufen.

Da aber opulente Nacktheit allgegenwärtig ist, ist sie nicht mehr so recht beeindruckend, deswegen muss nachgeholfen werden. Und während Frauen damit beschäftigt sind, ihre Körper zu trimmen, auf Operationstische zu legen, Busen zu heben, Lippen zu verdicken, Fett abzusaugen, Vaginen zu stylen, Zähne zu weißeln, machen Männer Karriere und besetzen die wichtigen Positionen in Wirtschaft, Forschung, Bildung, Politik, von der katholischen Kirche nicht zu reden.
So sehr verschieden von islamischen Gegebenheiten ist das nicht. Führungspositionen, Vorstandsetagen und Lehrstühle besetzen vornehmlich Männer, und für die gleiche Arbeit erhalten Frauen weniger Lohn. Da hat ein halbes Jahrhundert Geschlechterkampf keine Gleichstellung erreicht, und "Gender Mainstreaming" ist nach wie vor ein unentbehrliches Wortungetüm.
Dieser ganze Islam- und Verhüllungsdiskurs zeigt: Die Muslimin wird dringend benötigt, nämlich zur Verhüllung des Dilemmas, dass in dieser aufgeklärten Zeit Frauen zwar beinahe nackt herumlaufen dürfen, aber sonst wie eh und je wenig zu entscheiden haben. Keine Verschleierung, keine Unterdrückung, nein, so ist das offensichtlich nicht.

Noch immer keine Gleichstellung

Dieselben feministischen Persönlichkeiten, die sich früher von links gegen patriarchale Strukturen stellten, verbeißen sich jetzt von rechts in den Islam und lenken davon ab, dass sie an Geschlechtergerechtigkeit nicht viel mehr erreicht haben als weibliche Fastnacktheit in fast allen öffentlichen Räumen und sprachlich unschöne Binnen-Is in diversen Diskursen und Druckwerken. Das funktioniert aber nur, wenn Musliminnen in Kopftüchern die Straßen und Parkanlagen bevölkern, und es funktioniert nur dann, wenn sie in die Kopftücher gezwungen werden.
Die Motive der Frauen und die Charaktere, die sie verhüllen, sind so verschieden wie die Persönlichkeiten, die sich von Spaghettiträgerchen präsentieren lassen. Aber als eine wesentliche Begründung für die Bedeckung geben Musliminnen immer wieder an, dass sie sich nicht über ihren Körper definieren lassen wollen. Es scheint in Vergessenheit geraten, dass dies auch einmal ein Anliegen westlichen Feminismus war. Kein Objekt der sexuellen Begierde mehr wollte frau sein.
Inzwischen heizen Hollywoods Schauspielerinnen und Europas C-Prominenz den Wettbewerb andersherum an: in der Erleichterung des Körpers von Textilem bei gleichzeitigem Exponieren strategisch wichtiger Körperteile. Aber dem Stoff-Minimalismus sind Grenzen gesetzt: Einem Nichts, das immer weniger wird, bis schließlich nichts mehr da ist, entspricht ein Reiz, der immer mehr wird, bis nur noch Reiz ist. Und dann ist keiner mehr gereizt, weder sexuell, noch moralisch.

Ingrid Thurner ist Ethnologin und Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.

Quelle: SZ