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Freitag, 29. Juni 2012

Gülen: Warum er bei den türkischstämmigen Muslimen beliebt ist

 

Die nach dem muslimischen Intellektuellen und Prediger Fethullah Gülen benannte Gülen-Bewegung ist bei vielen Migranten mit türkischem Migrationshintergrund sehr beliebt. Insbesondere die Bildungs- und Dialogaktivitäten stoßen auf große Zustimmung. Das hat seine Gründe. In diesem Artikel möchte ich anhand einiger Aspekte darstellen, warum das so ist.

1. Die türkischstämmigen Muslime in Deutschland befürworten und lieben die hiesige Demokratie und wollen einen Islam, der für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie ist. Denn die Freiheiten, die die Muslime in diesem Land genießen sind für sie sehr wertvoll. Mit seinen Artikeln zur Vereinbarkeit von Islam und Demokratie und seinen Aussagen zur Trennung von Staat und Religion, die er bereits in den 90er Jahre verfasste, also als noch niemand in der muslimischen Welt davon sprach, versuchte Gülen deutlich zu machen, dass der Islam kein bestimmtes Staatsverständnis vertritt. In der Demokratie sieht er ein System, das auch nach religiösen Quellen unbedenklich ist und von dem es kein Zurück gibt. Gleichzeitig sehen immer mehr Muslime mit türkischem Migrationshintergrund Deutschland als ihre Heimat. Sie wollen sich hier für diese Gesellschaft engagieren und sich für gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt stark machen. Gülen legt den Menschen nahe, das Land in dem sie leben zu lieben. Genau deshalb sind seine Ansichten für türkischstämmige in Deutschland wertvoll.

2. Das Leben in Deutschland ist intensiv von Begegnungen mit dem Anderen geprägt. Im Kindergarten, in der Schule, an der Universität, im Berufsleben und vor allem aber auch in der Nachbarschaft hat man Freunde und Bekannte, die Christen, Juden, Atheisten, Buddhisten und Agnostiker sind. Fethullah Gülen spricht sich dafür aus, den gegenüber so zu lieben, wie er ist und ihn in seiner Lebensphilosophie voll und ganz zu respektieren. Gülen unterstreicht Toleranz und Liebe gegenüber allen Geschöpfen als Lehre des Islam. Ein Islamverständnis, dass nicht auf Abgrenzung und Mission ausgelegt ist, sondern auf Inklusion und Toleranz kommt bei den Muslimen hierzulande sehr gut an. Hier ist Gülen auf einer Linie mit den Sufi-Meistern Yunus Emre und Mevlana, die weltweit für ein Philosophie der Versöhnung bekannt sind.

3. Für in Deutschland aufgewachsene türkischstämmige Muslime spielte die kurdische und auch die türkische Identität sowie auch die Zugehörigkeit zur sunnitischen oder alevitischen Konfession zunächst keine Rolle. Sie waren Menschen aus der Türkei, die das gleiche Schicksal teilten. Viele Kurden und Türken sind daher eng befreundet. Mischehen sind absolute Normalität. Fethullah Gülen unterstreicht in seinen Aussagen, dass Terror nicht mit Waffen besiegt werden kann. Nur durch Versöhnung, Liebe und Dialog könne man einen wahren Frieden erreichen. Genau aus diesem Grund greifen viele türkischstämmige diese Ideen auf und setzen sich für den kurdisch-türkischen und auch für den sunnitisch-alevitischen Dialog ein.

4. Ein gesellschaftlicher Aufstieg ist nur durch Bildung möglich. Dabei sollte man Bildung nicht nur als Schulbildung, sondern auch als Bildung im weitesten Sinne verstehen. Denn Unwissenheit und Vorurteile gegenüber dem Anderen sind die vielleicht wichtigsten Quellen unserer gesellschaftlichen Probleme. Der Einsatz für Bildung, den Gülen den Muslimen nahelegt, macht ihn im Umfeld der türkischstämmigen sehr beliebt.

5. Muslimische Frauen wollen die Gleichstellung von Mann und Frau. Auch wenn in vielen Debatten über die Frau im Islam und das Kopftuch diskutiert wird, belegen Statistiken, dass gerade die Mädchen und Frauen oft erfolgreicher und besser integriert sind. Die Muslimas wollen kein Leben Zuhause am Herd, sondern wollen studieren und wollen Karriere machen. Sie wollen die Gleichstellung von Mann und Frau im Islam, die Gülen formuliert. Ein Islam, wie ihn Gülen interpretiert kommt da genau richtig.
Für viele der in Deutschland aufgewachsenen Muslime mit türkischem Migrationshintergrund sind all diese Aspekte in ihrem Alltag von großer Bedeutung. Auch wenn der kulturell gelebte Islam ihrer Eltern oft anderer Meinung ist, bietet sich ihnen so die Möglichkeit, Tradition mit Moderne in Verbindung zu bringen. Ein Islamverständnis, das provoziert, isoliert und die Mehrheitsgesellschaft beleidigt schadet der gesamten Gesellschaft und dem friedlichen Zusammenleben. Gülen verdeutlicht in seinen Schriften wie die Muslime in ihrem Alltag ein pragmatisches Islamverständnis leben können. Er motiviert sie dazu fleißig zu sein, sich zu engagieren und sich für Dialog und Bildung einzusetzen. Das ist das Islamverständnis, das wir in Deutschland brauchen.

Ercan Karakoyun

Mittwoch, 13. Juni 2012

Die Rolle der Musik im Interkulturellen Dialog-I


In Teilen der Gesellschaft ist in den letzten Jahren das Bewusstsein um die Wichtigkeit des interkultureller Dialogs gewachsen. In Theorie und Praxis des Dialogs gibt es jedoch auch Grundannahmen, begriffliche Unschärfen und Schattenseiten, welche einer größeren Effektivität gelebten Dialogs und Integration im Wege stehen. Mögliche Beispiele sind nicht nur Begrifflichkeiten wie „Teufelskreis der Abschottung von Teilkulturen“ und „Leitkultur“, sondern auch ein im Zentrum der Reflexion stehender unscharfer Dialogbegriff. Reflexion und Modelle des interkulturellen Dialogs sind noch nicht gelebte Praxis. Dialog in unserem Sinne meint mehr als Austausch und miteinander reden. Gelebter Dialog führt in die Erfahrung des Anderen und in das Gewahrsein etwas Größeren. Folgen wir Martin Buber so entsteht wirklicher Dialog nur in einer Ich-Du Beziehung, welche die Verdinglichung des anderen Menschen aufhebt und emotionalen Austausch beinhaltet, was nichts anderes bedeutet als dass sie die Grenzen des Ich und der eigenen Identität tranzendiert. Folgen wir den Erfahrungen aus Pädagogik und Interpersoneller Neurobiologie, so sind Grund-Bedingungen der dialogischen Struktur und der Empathie die Nachahmung bzw. die Spiegelfähigkeit des Menschen.

1. Musik zwischen Vertrautheit und Fremdheit

Im interkulturellen Dialog geraten zumeist folgende Funktionen der Musik in den Focus von Reflexion und Praxis:
  • Die Besinnung auf das eigene Kulturgut als Anker oder zur Rekonstruktion der eigenen Identität, sowie zur Repräsentation/ bzw. Erfahrung der eigenen /bzw. fremden Kultur in der Fremde/bzw. Heimat. 
  • Musik als Brücke zu anderen Kulturen
  • Gemeinsames musizieren als Austausch/Begegnung zwischen professionellen oder Laien- Musikern. Musikalischer Dialog als alternatives Medium zur Sprache.
  • Musik mit ihrer Sinnhaftigkeit und emotionalisierenden Wirkung als auflockerndes Rahmenprogramm und Ausgleich zu kognitiv-sprachlichen Teilen des Dialogs
  • Stile musikalischer Fusion als Beispiele für die Möglichkeit der Integration verschiedener Kulturen in der Person des Musikers
Intention und Reflexion der Musik im interkulturellen Dialog sind zumeist von kulturpolitischen und musikpädagogischen Fragestellungen bestimmt. Darüber hinaus gibt es aber auch im Bereich der Ethnotherapien und dem therapeutischen Einsatz von Musik/Instrumenten anderer Kulturen bzw. der musiktherapeutischen Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund weit reichende Erfahrungen, welche in der öffentlichen Reflexion kaum Berücksichtigung finden. Dabei äußern sich gerade Musiktherapeuten sehr konkret und aus der Erfahrung zu Fragen der musikalischen Empathie und dem Dialogischen Spiels mit Musik. Grundlage des musikalischen Dialogs ist in der Musiktherapie meist die Methode der freien Improvisation. Interessant ist dabei z.B. die Darstellung der freien Improvisation/bzw. der Kunst als kulturübergreifende Methode von Roeske: „Frei improvisierte Musik ohne festen Bezug zu überlieferten Rhythmus-, Melodie- oder Harmoniestrukturen kommt in keiner musikalischen Kultur vor, die bestimmten ethnischen oder geographischen Gruppierungen zuzuordnen wäre. Freie Improvisation als Kunstform existiert nur im „Free Jazz“ oder der neueren modernen Klassik.“ (Plahl/Koch-Temming 2005/S.302)
Bevor wir uns aber einem so komplexen und vielschichtigen Thema wie „Die Rolle der Musik im Interkulturellen Dialog“ zuwenden wollen, scheint es uns ratsam, uns der Musik als Phänomen zwischen Vertrautheit und Fremdheit, wie auch Annahme und Ablehnung zu vergewissern.

1.1 Musik als sozial-historisches Phänomen

„Neben kulturübergreifenden musikalischen Gemeinsamkeiten, die sich noch heute in vielen Gesellschaften finden lassen, haben sich im Laufe der menschlichen Zivilisation zahlreiche Musikkulturen mit unterschiedlichen Musikpraktiken und Musikstilen entwickelt……Die unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen von Musik sind von Menschen erfundene, sozial akzeptierte Klangmuster, die durch gemeinsame Handlungen entstanden sind (Blacking 1995). Erst durch den sozialen und kulturellen Kontext kann Musik ihre jeweilige Bedeutung erhalten und erst durch das verstehende Zuhören eines Menschen kann aus einem Geräusch oder einem Klang Musik werden.“ (zitiert nach Plahl/Koch -Temming 2005)
Musik gilt uns als vom sozial-historischen Kontext abhängiges Phänomen und kann in ihrer Gesamtheit nur von Menschen aus dem sozial-historischen Milieu verstanden und gelebt werden, indem die Musik aktuell lebt. Die Begegnung und die Rezeption mit musikalischen Ausdruckformen anderer Kulturen, aber auch Teil- und Subkulturen der eigenen Kultur (z.B. Jugendkultur / künstlerische Avantgarde) ist so oft in erheblichen Maße von Miss-verständnissen, Unverständnis oder gar Ablehnung geprägt.

1.2 Musik als allgemein menschliches Phänomen

Wenn aber die Musik des Anderen in diesem Sinne nicht zu verstehen ist, was sind dann die Voraussetzungen für die beobachtbare konstruktive Rolle der Musik im interkulturellen Dialog. Zu diesen Fragen gibt es verschiedene Zugangsweisen., die wir später weiter diskutieren wollen, beschränken wir uns zunächst auf die Vorsprachlichkeit der Sprache.
Evolutionsgeschichtlich haben die Menschen vermutlich Klänge, rhythmische Laute, Gesänge und Tänze zur Kommunikation genutzt bevor sie über Sprache verfügten. Während sich Sprache als Mittel zur differenzierten Verständigung, aufgrund ihrer Eindeutigkeit und höheren Effizienz durchsetzte, behielt die Musik als emotionaler und ästhetischer Ausdruck eine herausragende Bedeutung für die Gemeinschaft und hatte wichtige Funktionen bei Festen, Kulten, Heilritualen und der Arbeit. Musik zeichnete sich dabei vor allen Dingen dadurch aus, dass sie es ermöglichte innere wie äußere Abläufe innerhalb größerer Gruppen zu synchronisieren und einen gemeinsamen und integrativen Erlebnisraum zu schaffen.
Diese „Vorsprachlichkeit“ der Musik und der neurophysiologischen Nähe musikalischer Reizverarbeitung zum emotionalen Zentrum des Gehirns, sowie zu noch ältern Schichten des Gehirns, welche Körperprozesse steuern (wodurch körperliche Wirkungen der Musik erklärt werden können) bildet sicherlich eine Basis für eine kulturübergreifende Erfahrung und Empfindung des Menschen. (vgl.S.25 Plahl/Koch-Temming 2005) Dies kommt konkret vielleicht am besten am Beispiel der Wiegenlieder auf den Punkt:
„Weltweit und nahe zu in allen Kulturen finden sich in allen Wiegenliedern weiche abfallende Melodieverläufe, ein langsames Tempo, eine relativ einfache Struktur und viele Wiederholungen. Diese Übereinstimmung ist nicht allzu verwunderlich, da Wiegenlieder überall auf der Welt die gleiche Funktion haben, nämlich Babys zu beruhigen. Interessant ist allerdings… dass sich bei allen Menschen, die ein Baby durch sprechen beruhigen, genau dieselben Besonderheiten in ihrer Sprache finden lassen: Die Sprachmelodie hat eine abfallende Kontur, das Sprechtempo ist langsam, die Satzstrukturen sind einfach und bestehen aus vielen Wiederholungen. Selbst in Kulturen mit Tonsprache wie etwa in China, bei denen die Tonhöhe eines Vokals die Bedeutung eines Wortes bestimmt, lassen sich solche sprachmelodischen Bedeutungen finden. Offensichtlich haben die frühen musikalischen Kommunikationsfähigkeiten des Kindes in Verbindung mit den intuitiven elterlichen Kompetenzen einen besonderen Stellenwert in der Evolution des Menschen (Papousek 1991)“ (zitiert nach Plahl/Koch –Temming 2005/S.28)
In musiktherapeutischen empirischen Forschungen finden wir ebenfalls viele Belege für eine kulturunabhängige körperlich mentale Musikwirkung und Empfindung. So ließen sich in der Arbeit mit westdeutschen Angstpatienten von Gutjahr/Güvenc (Güvenc 1989) mit Zen und Türkischer Makkam wesentlich bessere Ergebnisse erzielen als mit Schönebergs atonaler Musik oder vertrauter Rockmusik. Bei weiteren Studien seit 1991 zur Wirksamkeit alt-orientalischer Musiktherapie bei westlichen Menschen ließ sich (neben der körperlich-physiologischen Wirkung) z.B. eine Übereinstimmung der Erfahrung und Benennung von Grundgefühlen durch die Klienten mit den von alten orientalischen Musiktheorien (etwa 12.-14.Jhr) bestimmten musikalischen Modi zugeordneten Gefühlen feststellen(vgl. Touma S.64).
An dieser Stelle müssen wir aber auch reflektieren, dass der Musik keine Wirkung an sich inne ist. Wichtige Voraussetzung und Bedingung für die erfolgreiche Arbeit mit dem Kulturgut anderer Kulturen ist das Interesse des Patienten/bzw. des Hörers an Musik und auch seiner interpretatorische Offenheit, sich einer Erfahrung jenseits von Erwartung, Vorurteilen im positiven Sinne gleichgültig auszusetzen.

Fortsetzung folgt