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Montag, 10. Dezember 2012

Nach seinem Artikel "Tue Gutes und lass es wirken" in der FAZ hat Rainer Hermann nun auch ein ausführliches Interwiev mit der Überschrift "Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch" herausgebracht. Beide Male geht es um den türkischen Gelehrten und Prediger Fethullah Gülen. Lesen können Sie den Artikel hier und das Interwiev hier. Da es ein sehr langes und ausführliches Gespräch ist, wollen wir hier Auszüge, die für Frauen relevant sind, bloggen.

Prediger Fethullah Gülen im F.A.Z.-Gespräch „Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch“

 ·  Fethullah Gülen gilt als der Erneuerer des Islams in der Türkei und als der geistliche Mentor der neuen anatolischen Elite. Für ihn lässt sich einiges im Islam auf Prinzipien der Moderne hin auslegen. 


© Rainer Hermann Der 1938 geborene Fethullah Gülen gilt als einer der einflussreichsten islamischen Denker der Gegenwart.
Im Ausland kennen ihn erst wenige, und doch ist sein Einfluss auf die Entwicklung der Türkei kaum zu überschätzen. Lange bevor Anatolien zu dem wirtschaftlichen Entwicklungsschub der vergangenen Jahre angesetzt hat und auch lange bevor die AKP Erdogans im Jahr 2002 erstmals an die Regierung gewählt worden war, hatte Gülen bereits einen Islam gepredigt und verbreitet, der den Muslimen den Anschluss an die Moderne ermöglichen sollte. Er wurde damit zum Erwecker Anatoliens und zur Stimme jener „schwarzen Türken“, also der Mehrheit der anatolischen Muslime, auf die die urbane Elite des Landes, die „weißen Türken“, lange meist nur mitleidig herabgeblickt hatte. Unter dem Eindruck der Lehren Gülens, der aus der Toleranz des gemäßigten Sufi-Islams schöpft, ist in Anatolien in den vergangenen Jahrzehnten aber eine dynamische Mittelschicht entstanden.
Die Anatolier waren ungebildet und provinziell, arm und fromm. Motiviert durch Gülens Lehren strebten sie nun nach Bildung und wurden wohlhabend, sie blieben aber weiter fromm. Gülen brachte ihnen die Bedeutung von Bildung und unternehmerischem Erfolg nahe, die Vereinbarkeit von Islam, Moderne und Demokratie, aber auch die Unvereinbarkeit von Islam und Gewalt. Er rief seine Anhänger auf, mit eigener Hände Arbeit Wohlstand zu schaffen und nicht zu vergessen, diesen auch unter Bedürftigen verteilen. In seinen Predigten verbindet er in langen Sätzen Suren aus dem Koran, Aussprüche des Propheten und die Erfahrungen der Mystiker mit den Erfordernissen der modernen Welt, er führt die Welt die Glaubens und der Lebenswirklichkeit zusammen.
Gülen wurde 1938 bei Erzurum geboren, und er knüpfte an den Lehren des bekannten Mystikers Nursi Said (1876 bis 1960) an. Der erste türkische Politiker, der regelmäßig seinen Predigten zuhörte, war der Reformer Turgut Özal (1927 bis 1993). Gülen unterhielt auch Kontakte zum Sozialisten Bülent Ecevit (1925 bis 2006). Viele oppositionelle Bewegungen haben den Kemalismus, die Ideologie der „weißen Türken“, herausgefordert. Da Gülen die kemalistische Elite wirkungsvoll in Frage stellte, erklärte sie ihn zum Staatsfeind. Daher ging Gülen 1999 ins Exil und lebt seither in den Vereinigten Staaten, wo er medizinisch behandelt wurde und als „religiöser Gelehrter“ eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat.



 ......Wie steht es dann mit dem friedlichen Zusammenleben?
Im Islam gibt es keinen Wert, der ein Hindernis für das friedliche Zusammenleben mit Christen, Juden oder Angehörigen anderer Religionen und Überzeugungen wäre. Im Gegenteil. Es gibt Koranverse, Hadithe, also Aussagen des Propheten, und historische Erfahrungen, die gerade ein gemeinsames Leben ermöglichen sollen. Der ehrenwerte Ali sagte: „Die Muslime sind unsere Geschwister in der Religion, und die Nichtmuslime sind uns in der Schöpfung gleich.“ Dieser Satz des vierten Kalifen in einem Brief an den ägyptischen Gouverneur Malik bringt diese Wahrheit sehr deutlich zum Ausdruck. Wir haben den anderen in dessen Existenz zu akzeptieren. Möglich sein wird das Zusammenleben von Muslimen und Christen nur durch die Einrichtung einer Kultur des Zusammenlebens. Dazu müssen die Grundrechte und Freiheiten für alle verteidigt und geschützt werden. Beide Seiten haben sich gegenseitig zu akzeptieren, in der Situation des anderen, so dass den Provokationen so weit wie möglich kein Publikum geboten wird. Ereignen sich dann solche Dinge, lässt sich zivilisiert auf sie antworten.........

......Wie kommt es, dass der Islam dann so verschieden ausgelegt wird?
Vieles ist offen für eine Auslegung und eine Exegese in der Zeit. Das kann mit den Bedingungen einer Zeit erklärt werden. Wir haben zum einen Grundprinzipien, zum anderen aber Interpretationen in einer Zeit, die auf diesen Grundlagen basieren. [Der mystische türkische Prediger] Bediüzzaman Nursi sagt, die Zeit sei der größte Exeget. Die Anforderungen ändern sich mit der Zeit. Wir nennen diese Auslegung Idschtihad. Wenn heute kein Idschtihad praktiziert wird, dann weil es an Menschen fehlt mit der entsprechenden Kompetenz und Qualifikation. Das Tor zum Idschtihad steht vollkommen offen. Berücksichtigt man die Zeit, die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen sowie die internationalen Verhältnisse, gibt es viele Gründe, weshalb ein Idschtihad durchgeführt werden muss. Wegen des Idschtihads gab es in der Vergangenheit Abspaltungen. Jemand sagte einmal: „Die Wege zu Gott sind so viele wie der Atem der Geschöpfe.“.............

......Sie rufen also dazu auf, den Anderen zu respektieren, wie er ist?
Uns wurde aufgetragen, jeden Menschen entsprechend seiner Wirklichkeit zu akzeptieren und diesem gegenüber respektvoll zu sein. Erwartet man Respekt, darf man nicht versäumen, auch dem Nächsten Respekt zu erweisen. So muss man sich auch gegenüber Atheisten verhalten. Schließlich ist er ein Mensch, und man muss Menschen umarmen. [Der türkische Mystiker] Mewlana, der vor mehr als sieben Jahrhunderten in Anatolien ein erhabener Meister für Toleranz und Dialog war, hatte gesagt: „Komm, komm, wer Du auch bist, komm, zu welcher Religion du auch gehörst, komm!“ Und er öffnete sein Herz gegenüber jedem. Wenn Ihr euer Herz öffnet und ich euch umarme, dann werden Eure Hände nicht herunterhängen; auch Ihr werdet dann ein Bedürfnis empfinden, mich zu umarmen. Wir brauchen heute diese Haltung. In einer Zeit, in der tödliche Waffen großes Elend bringen, ist es eine wichtige Pflicht, die Wege des Friedens und des innigen Zusammenseins zu erforschen. Hat man Respekt für seinen eigenen Weg, erfordert das nicht, gegenüber der anderen Seite respektlos zu sein. Nicht respektieren darf man aber einige Verhaltensweisen. Das kann Muslime betreffen, Christen, Atheisten, Deisten. Ist der Mensch grausam oder bestialisch, vergießt er Blut, begeht er Unrecht, verzehrt er das Recht der Menschen: Dann zerstört er die hohe Moral. Will der Menschen gegen etwas vorgehen, sollte er es gegen solche negativen Eigenschaften tun. Er sollte versuchen, soweit er dazu imstande ist, diese zu beseitigen, und zwar mit Erziehung, Vermittlung von Bildung und gutem Benehmen, indem man die Wege des Friedens erforscht und Dialog führt.

Sind fundamentale Errungenschaften wie Demokratie, Pluralismus und die Menschenrechte lediglich westliche Erfindungen - oder sind sie universal und können damit auch in islamischen Gesellschaften praktiziert werden? Bei Demokratie, Pluralismus und den Menschenrechte hat es wichtige Fortschritte gegeben. Das sind aber keine Werte, die sich allein in der westlichen Welt und nur in moderner Zeit gezeigt haben. Wir sehen, dass es bei der Entwicklung der Demokratie viele unterschiedliche Anwendungen gegeben hat, dass Verbesserungen durchgeführt wurden, dass überprüft wurde. Der Begriff Demokratie wird mit Wörtern wie sozial, liberal, christlich, direkt, repräsentativ oder parlamentarisch verbunden, obwohl sich diese Eigenschaften teilweise gegenseitig ausschließen. Die Prinzipien, die die Fundamente der Demokratie sind, und die Regierungsform stimmen mit den islamischen Werten überein. Werte und Prinzipien, die der Islam wie auch die Demokratie akzeptieren, sind Beratung, Gerechtigkeit, Religionsfreiheit, der Schutz der Rechte von Individuen und Minderheiten, das Recht eines Volkes zur Wahl seiner Regierung, die Verantwortung der Regierenden für ihre Tätigkeiten und die Unzulässigkeit der Herrschaft einer Minderheit oder Mehrheit über den jeweils anderen. Die allgemeinen Prinzipien des Islam zur Regierungsform sind also kein Hindernis für die Umsetzung der Demokratie. Sie bieten sogar eine geeignete Grundlage dazu......


.....Welche Rolle spielt in Ihrem Denken die Frau?
Frauen können nahezu alle Rollen übernehmen, sie können Richtern und Staatsoberhaupt sein. Zu beachten sind zwar die Natur der Frau und religiöse Empfindlichkeiten. Die Rolle der Frau ist aber nicht auf die Beschäftigung zu Hause und auf das Großziehen der Kinder beschränkt. „Die Frau im Islam“ gehört zu den Themen, die im Westen negativ und am häufigsten behandelt werden. Der Grund ist, dass die Muslime Dinge praktizieren, die den Grundwerten des Islams widersprechen. Einiges, was negativ erscheint, muss man im Zusammenhang mit den Bedingungen der jeweiligen Epochen und Staaten bewerten. Zudem herrschen in einigen Regionen und Gesellschaften weiter Gewohnheiten und Traditionen, die es vor dem Islam gegeben hat und die weitergeführt werden. Das dem Islam anzurechnen, ist nicht richtig. Für die muslimische Religion ist es aber niemals zulässig, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und ihren Handlungsspielraum einzuschränken. Die Muslime missachten dies leider. Ein grobes Verständnis und ein plumpes Denken hat damit das System zerstört, welches auf der gegenseitigen Hilfe von Mann und Frau sowie auf das gemeinsame Teilen aufgebaut war. Mit dieser Zerstörung wurden auch der Familienfrieden und die gesellschaftliche Ordnung zerstört.

Sind Mann und Frau gleich?
Auch die die Frau ist eine freie und eigenständige Persönlichkeit. Ihre Weiblichkeit hebt keine der Qualifikationen auf, die sie besitzt, verengt sie auch nicht. Wenn eine ihrer Rechte berührt wird, kann sie, wie die Männer, ihre Rechte einfordern. Besitzt sie, was jemand anderes hält, kann sie es zurückholen. Muslime unterschiedlicher Völker hatten ihren historischen Erfahrungsschatz mit dem Kleid des Islam gekleidet, sie präsentierten ihre Gewohnheiten und Traditionen, als gehörten sie zu den Grundlagen der Religion. In dieser Richtung gab es auch einige theologische Gutachten, Idschtihads. So wurden die Rechte der Frau veräußert, von Tag zu Tag wurde sie in einen immer engeren Bereich gedrängt und sie wurde, ohne zu erfassen, wohin das Ganze hinausläuft, in einigen Gebieten wurde sie sogar ganz aus dem Leben ausgeschlossen. Einen Unterschied der Frau zum Mann gibt es bei keinem der Themen, die die Grundprinzipien des Islams betreffen – etwa bei der Glaubens- und Meinungsfreiheit, den Besitz- und Verbraucherrechte, der Gleichheit vor dem Gesetz, dem Recht auf eine gerechte Behandlung vor dem Gesetz, dem Recht auf Heirat und der Gründing einer Familie, dem Recht auf Intimität und die Unantastbarkeit der Privatsphäre. Wie bei Männern stehen auch ihr Besitz, Leben und ihre Sexualität unter Schutz. Wer das verletzt, dem drohen schwere Strafen.

Welche Stellung sollte die Frau sie in Ihrem Netzwerk haben?
Die in der Bewegung aktiven Frauen üben, indem sie der Menschheit zur Hilfe zu stehen, wichtige Aufgaben aus. Sie schöpfen, wie die Männer, die Möglichkeiten aus, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie sind mit ihrer Haltung und ihrem Verhalten ein Vorbild. Entsprechend ihrer Ausbildung und Erfahrungen setzen sie, auch in leitenden Positionen, die ihnen obliegenden Pflichten um, und sie reisen, ist es erforderlich, in alle vier Himmelsrichtungen. Auch wenn wir im Vergleich zu früher enorme Wege zurückgelegt haben, ist die Partizipation der Frauen in der Gesellschaft und in der Bewegung nicht dort, wo wir sein müsste. Sie hat das gewünschte Niveau nicht erreicht...........


.....In Deutschland hört man häufig, dass Türken nicht bereit oder in der Lage seien, sich zu integrieren und Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Was raten Sie bei der Integration? 
Die Integration hätte besser laufen können. Verantwortlich sind die Migranten, aber auch die europäischen Staaten. Die Migranten dachten lange nicht daran, sich in die gastgebende Gesellschaft zu integrieren, weil sie von der Rückkehr in ihre Heimat ausgegangen sind, zu der es nicht kam. Den Preis für diese Passivität haben sie und noch mehr ihre Kinder bezahlt. Aus demselben Grund haben auch die Gastgeberländer zunächst keine Integrationsmaßnahmen ergriffen. Sie waren nicht in der Lage, notwendige und integrationsfördernde Angebote und Möglichkeiten in den Bereichen Bildung, Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft zu schaffen. Ferner haben sich die Herkunftsländer der Migranten nicht rechtzeitig und ausreichend um sie gekümmert. Heute tut sich auf beiden Seiten viel. Die europäischen Staaten haben in den letzten Jahren nachhaltige Integrationsmaßnahmen getroffen, um bestehende Hürden zu beseitigen. Die Migranten haben erkannt, dass sie in ihrem Gastland eine neue Heimat gefunden haben und investieren nun in die Bildung ihrer Kinder und Enkelkinder, bauen sich eine wirtschaftliche Existenz auf und ergreifen die Initiative. In diesem Rahmen leistet die Hizmet-Bewegung durch Bildungseinrichtungen und Sprachkurse einen akademischen, kulturellen und sozialen Beitrag zur Integration. Diese Einrichtungen setzen sich dafür ein, dass die neuen Generationen als teilhabende Bürger einen konstruktiven Beitrag für die Gesellschaft leisten, ohne ihre Herkunftskultur zu leugnen. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Perspektivewechsel und die damit verbundenen vielseitigen Integrationsbemühungen positive Früchte tragen....

Man sollte sich die Zeit nehmen, und den ganzen Artikel lesen. Es lohnt sich!

Quelle: Faz - Gespräche: "Islam und Moderne stehen nicht im Widerspruch"