Es gibt keine organisierte Kette von Wohngruppen, sagt Vereinsvorsitzender Eyüp Besir. Foto: Arnold
Herr Besir, warum verstecken Gülen nahe Gruppen so viel von sich vor der Öffentlichkeit?
Das
behaupten Sie, ich kann das so nicht bestätigen. Ich bin als
Vorsitzender des Forums für Interkulturellen Dialog (FID) in sehr vielen
öffentlichen Veranstaltungen, ich gebe Interviews.
Viele
der Gülen-Bewegung nahestehende Bildungs- und Nachhilfevereine, wie in
Frankfurt das Avicenna-Institut, geben auf ihrer Homepage keinerlei
Hinweis auf einen islamischen Hintergrund und eine Nähe zur
Gülen-Bewegung. Der Avicenna-Vorsitzende sagt aber sehr wohl, dass er
Gülen nahestehe. Warum legt der Verein den Zusammenhang nicht offen?
Ich
kann nicht für das Avicenna-Institut sprechen. Ich möchte aber kurz
etwas erläutern. Was Sie als Gülen-Bewegung bezeichnen, nennen wir
selbst „Hizmet“, Dienst an der Gesellschaft. Die Hizmet-Bewegung ist ein
loses Netzwerk von Menschen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung
wahrnehmen und sich engagieren, etwa durch Bildung oder Dialog. Die
Offenlegung der religiösen Hintergründe spielt bei der Projektarbeit
keine Rolle.
Das gilt auch für Bildungsvereine, die Nachhilfe oder Integrationskurse geben?
Richtig.
Welche Gülen-Ideen sind für Sie die wichtigsten?
Das
sind die universellen Werte wie Fethullah Gülen sie vertritt:
Freiheiten, demokratische Rechte und Werte, Gleichstellung von Mann und
Frau, Akzeptanz des anderen in seiner Eigenart, Achtung vor dem
Rechtsstaat und dem Gesetz.
Den Islam haben Sie jetzt nicht genannt.
Nicht
alle Menschen in der Bewegung sind Muslime, nicht alle Muslime bei
Hizmet sind von Gülen inspiriert. Dieses lose Netzwerk ist momentan sehr
heterogen.
Wie ist es für Sie und den Verein FID?
Für
mich ist die Religion wichtig. Ich hab die Schriften von Gülen Mitte
der 90er zu Beginn meiner Studienzeit gelesen, darüber bin ich erst auf
meine soziale Verantwortung aufmerksam geworden: nicht nur für mich und
meine Familie, sondern auch für die Gesellschaft. Danach habe ich dann
angefangen zu studieren. Die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie war
für mich sehr wichtig.
Sie kennen Fethullah Gülen persönlich. Sind Sie regelmäßig bei ihm in den USA?
Nein. Ich war ein paar Mal bei ihm zu Besuch.
Er ist, sagen Sie, der Ideengeber für den FID. Gibt er Anweisungen?
Fethullah
Gülen ist Ehrenvorsitzender des FID Frankfurt. Unser
Gründungsvorsitzender Abdullah Aymaz war vor Jahrzehnten selbst Schüler
von Gülen in der Türkei. Ich kannte Gülen nur durch seine Schriften und
durch Personen wie Aymaz. Falls es notwendig ist, können wir ihn um Rat
fragen. Er ist eine Respektsperson für uns, aber er gibt keine
Anweisungen.
Sie gelten, neben Ercan Karakoyun aus Berlin, als führende Figur im deutschen Gülen-Netzwerk.
Das
würde ich so nicht sagen. Ich bin der Vorsitzende von FID Frankfurt und
Karakoyun der von FID Berlin, darüber hinaus haben wir keine weitere
Funktion.
Ihr Verein FID hat in Bockenheim dieselbe Adresse wie das Avicenna-Institut. Arbeiten Sie zusammen?
Wir sind im selben Haus. Es gibt natürlich persönliche Kontakte. Es gibt auch gemeinsame Projekte.
Nach
unseren Recherchen standen Personen aus dem Avicenna-Institut im
Hintergrund bei der Anmietung einer Wohnung in Griesheim für eine
Wohngemeinschaft muslimischer Studentinnen. Warum spricht Avicenna nicht
offen darüber?
Das müssen Sie Avicenna fragen. Von dieser Wohngemeinschaft habe ich erstmals durch Ihre Berichterstattung erfahren.
Allgemeiner gefragt: Uns liegen Berichte
mehrerer junger Leute vor, die in solchen Bildungsvereinen gejobbt oder
als Studenten Anwerbeversuche erlebt haben von Anhängern Fethullah
Gülens. Sie berichten uns übereinstimmend, dass durch die Hintertür eine
religiöse Agenda auftauchte: Kinder hätten nach der Mathe-Nachhilfe
noch einen religiösen Film angucken müssen, nach Einladungen zum Essen
lagen Gülen-Schriften auf dem Tisch. Schadet das nicht dem Ansehen der
Hizmet-Bewegung?
Ich kenne diese Fälle nicht. Aber
innerhalb der Ideen Gülens ist die Religionsfreiheit ein wichtiger Wert.
Deshalb kann jeder selbst entscheiden, wie er denkt, lebt und glaubt.
Sprechen wir über „Lichthäuser“. Wie viele dieser Wohngruppen kennen Sie in Frankfurt?
Gülen
hat das Wort „Lichthaus“ nur in den 60ern mal verwendet bei der
Auslegung eines Koranverses. Er und vor ihm Said Nursi (islamischer
Gelehrter, d. Red.) sagen, dass der größte Feind einer Gesellschaft
Unwissenheit ist. Sie müsse überall bekämpft werden, auch zu Hause, in
der Wohnung. Die wird so zur Stätte gemeinsamen Lernens, gegenseitiger
Aufklärung. Den Namen „Lichthaus“ für hiesige Wohngruppen haben andere
eingeführt.
Gemeint sind Wohngruppen, wo eine Unterweisung in der Gülen-Lehre stattfinden und ein strenger Tagesablauf herrschen soll. Gibt es so etwas in Frankfurt?
Es gibt keine organisierte Kette von Lichthäusern. Es gibt aber Studenten, die die Ideen Gülens wertschätzen und gemeinsame WGs aufbauen, wie andere Studenten auch. Wie viele Studenten so wohnen, weiß ich nicht. Aber in einer Stadt wie Frankfurt mit sehr vielen Fakultäten und vielen türkischstämmigen muslimischen Studenten ist es möglich, dass sie sich so zusammentun.
In diesen Wohngruppen finden Sohbets statt, regelmäßige religiöse Unterweisungsstunden…
Diese Übersetzung ist irreführend. Sohbet heißt einfach Gespräch, Austausch. In diesem Sinn ist auch dieses Interview ein Sohbet. Von religiöser Unterweisung kann keine Rede sein.
Mir fällt auf, dass Sie immer dann relativieren, wenn wir auf religiöse Bezüge bei Hizmet-Aktivitäten zu sprechen kommen. Warum?
Für mich als Deutschen ist Religion Privatsache. Deshalb sollte man auch Studenten oder Vereinsmitglieder nicht dafür kritisieren, dass sie ihre religiöse Sichtweise privat halten.
Aussteiger aus den Wohngruppen berichten, dass das Leben dort stark kontrolliert wird, ein autoritärer Umgang herrscht, die Freiheit der Bewohner eingeschränkt ist – etwa, dass keine Handys benutzt werden durften. Wäre es nicht in Ihrem Interesse, offensiver öffentlich zu machen: Wir sind einfach nur religiös, wir tun nichts Schlimmes?
Wie
gesagt: Zu den Ideen Gülens gehört das Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit. Wenn Entrechtungen von Menschen in Wohngruppen
stattfinden sollten, müssen diese öffentlich werden und, wenn nötig, von
der Justiz geahndet werden. Dazu müssen diese Personen offen
hervortreten. Sie sollen öffentlich sagen, da und da passiert das, dann
kann man das überprüfen.
"Pauschale Bewertung ist nicht akzeptabel"
Wir
haben auch Aussagen von Eltern, die ihre Töchter bewusst in Gülen nahe
Bildungsvereine schicken. Denn dort würden die Mädchen so erzogen, „dass
sie nicht so werden wie deutsche Mädchen“. Was ist so schlimm an
deutschen Mädchen?
Nichts. Ich bin deutscher
Staatsbürger, ich bin hier heimisch. Meine Eltern sind türkischstämmige
Gastarbeiter, die in den 70er Jahren herkamen. Ich habe nur einen Pass,
den deutschen, meine Kinder auch. Ich akzeptiere diese meine
Gesellschaft mit allen, die zu ihr gehören, den deutschen Jungs und
Mädchen, den nichtdeutschen. Eine pauschale Bewertung einer Ethnie als
gut oder schlecht ist nicht akzeptabel.
Die
Elternäußerung ist aber kein Einzelfall. Immer klingt mit: „Die Welt da
draußen ist schlecht, in der Hizmet ist sie gut.“ Passt das zu Ihrem
Anspruch, für Integration, Demokratie und Multikulturalität zu arbeiten?
Nein,
das passt nicht. Wir als FID machen demnächst zum Beispiel eine
Ausstellung in Wiesbaden in Zusammenarbeit mit der dortigen jüdischen
Gemeinde. Die Ausstellung zeigt das 500-jährige jüdische Leben zur
osmanischen Zeit. Wir wollen zeigen, dass es ein gelungenes
Zusammenleben in der Vergangenheit gab und dass das auch heute möglich
ist. Wir arbeiten auch mit der katholischen Akademie in Frankfurt
zusammen, mit der ökumenischen Kontaktstelle der evangelischen Kirche,
mit den Fakultäten.
Ärgert es Sie da nicht, wenn andere Institutionen, die sich auch zur Hizmet zählen, in einer anderen Richtung arbeiten?
Die Frage ist, ob es das so gibt.
Offenbar, wie die Elternäußerungen zeigen.
Wer
diese Gesellschaft in Gut und Schlecht einteilt, ist hier nicht
angekommen. Aber ich kenne die Leute nicht, ich weiß nicht, ob sie
überhaupt Gülen lesen.
Kritiker bemängeln
auch, dass die in Gülen-Wohngruppen praktizierte Geschlechtertrennung
nicht zeitgemäß sei. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Wer im
privaten Raum aus religiöser Überzeugung in Geschlechtertrennung leben
will, hat das Recht dazu, das gilt nicht nur für Muslime, auch für
Christen. Es gibt ja auch Privatschulen, die reine Knaben- oder
Mädchenschulen sind. Aber strikte Geschlechtertrennung in allen
Lebensbereichen ist nicht richtig.
Quelle: Frankfurter Rundschau